3.4 Unterer Gastrointestinaltrakt
Bleikolik, zum Teil blutiger Durchfall, anfangs auch Obstipation
3.5 Respirationstrakt
Keine Symptome
3.6 Herz, Kreislauf
Keine Symptome
3.7 Bewegungsapparat
Keine Symptome
3.8 Augen, Augenlider
Sehstörungen bis Erblindung, Mydriasis, Iridozyclitis
3.9 Harntrakt
Keine Symptome
3.10 Fell, Haut, Schleimhäute
Keine Symptome
3.11 Blut, Blutbildung
Hypochrome, normozytäre Anämie
3.12 Fruchtbarkeit, Jungtiere, Laktation
Aborte bei chronischer Vergiftung; Milch erhöht die intestinale Bioverfügbarkeit von Blei: Daher sind Jungtiere während der Laktationszeit besonders gefährdet.
4. Sektionsbefunde
Es treten unspezifische Veränderungen wie Gastroenteritis, Pneumonie, Leber- und Nierendegeneration, Petechien, Ekchymosen und ein Hirnödem auf.
Histopathologische Befunde: Bei der histologischen Untersuchung werden manchmal säurefeste intranukleäre Einschlüsse gefunden. Diese Kerneinschlüsse treten vor allem in den proximalen Tubulusepithelien der Nieren, im Knochen und in Hepatozyten auf.
5. Weiterführende Diagnostik
5.1 Direkter Nachweis
- Blei wird mittels Atomabsorptionsspektrometrie gemessen. Folgende Konzentrationen deuten auf eine Bleivergiftung hin (bezogen auf das Naßgewicht):- Bleigehalt im Vollblut (es können Heparin- oder EDTA-Röhrchen benutzt werden): > 0.6 ppm; Werte zwischen 0.35 und 0.6 ppm gelten nur als positiv, wenn gleichzeitig typische Symptome einer Bleivergiftung vorliegen.- Bleigehalt im Urin: > 0.75 ppm; möglich ist auch ein EDTA-Provokationstest, das heisst ein Nachweis der Bleiausscheidung während der Therapie mit CaNa2EDTA (Urinprobe vor der Behandlung und weitere Proben im Abstand von 24 Stunden entnehmen).- Bleigehalt im Kot: > 35 ppm.- Bleigehalt in Leber und Niere: > 10 ppm.- Die Bleianreicherung im Knochen erfolgt kumulativ und ist deshalb nicht aussagekräftig für eine akute Exposition.
5.2 Veränderte Laborwerte
- Blutchemie: δ-Aminolävulinsäure und Protoporphyrin sind erhöht, Hämoglobingehalt des Blutes ist erniedrigt.- Differentialblutbild: Anämie (normozytär, hyprochrom), Retikulozytose (bis zu 40% unreife Erythrozyten).- Mikroskopisches Blutbild: Basophile Tüpfelung der Erythrozyten.- Steigerung der Harnausscheidung von δ-Aminolävulinsäure und Koproporphyrin III; nur gelegentlich ist eine Proteinurie wegen Nierenschädigung zu beobachten.
5.3 Röntgen
- Blei stellt sich röntgendicht im Magen-Darm-Trakt oder im Gewebe dar.- Im Falle chronischer Vergiftungen können beim jungen Hund röntgenologisch feststellbare osteosklerotische Verdichtungslinien an den Metaphysen der Röhrenknochen oder in anderen wachstumsintensiven Knochenbezirken entstehen (sogenannte Bleilinien).
6. Differentialdiagnosen
Differentialdiagnostisch ist ein weites Spektrum verschiedener Ursachen zu berücksichtigen:
- Infektionskrankheiten wie Staupe, Tollwut, Parvovirose, Encephalitis, Parasiten- Vergiftungen mit anderen Schwermetallen (vor allem Quecksilber) oder Carbamaten, Organophosphaten- Andere Ursachen von Gastroenteritis- Chronische Bleivergiftungen können mit Pankreaserkrankungen oder Tumoren verwechselt werden.
7. Therapie
7.1 Notfallmassnahmen
- Kreislauf stabilisieren, gegebenenfalls Bluttransfusion - Atmung stabilisieren- Krämpfe kontrollieren- Behandlung eines eventuell vorhandenen Hirnödems
7.2 Dekontamination und Elimination der Giftquelle
- Verabreichung von Glaubersalz, 1 g/kg Körpergewicht, peroral als 5%ige Lösung: Glaubersalz beschleunigt die Darmpassage und zusätzlich werden die Bleiionen im Magen-Darm-Trakt als Sulfat ausgefällt und können somit nicht mehr absorbiert werden.- Entzug der Bleiquelle, wenn nötig chirurgisch oder endoskopisch. Die chirurgische Exzision bleihaltiger Schrotkugeln oder Projektile aus der Muskulatur ist meistens nicht indiziert. Bleigeschosse werden nämlich durch Bindegewebe abgekapselt, so daß das Blei nur sehr langsam gelöst und systemisch verteilt wird. Zu einer bedeutenden Bleifreisetzung kommt es nur, wenn sich die Geschosse in Gelenkkapseln, Zwischenwirbelräumen, Abszessen, Knochenmark, Lunge oder Gehirn befinden.
7.3 Antidottherapie
- Es stehen verschiedene Chelatbildner zur Inaktivierung des Bleis und Förderung seiner Ausscheidung zur Verfügung. Die resultierenden Komplexe werden fast vollständig durch glomeruläre Filtration eliminiert. Deswegen ist eine ausreichende Nierenfunktion Vorraussetzung der Therapie mit CaNa2EDTA : Viel frisches Wasser anbieten! Im Laufe der Behandlung mit Chelatbildnern kann es vorübergehend zu einer Verstärkung der Symptomatik kommen.- CaNa2EDTA, 25 mg/kg 4mal täglich über 2-5 Tage. Dosis in 5%iger Glucose auflösen (Endkonzentration von CaNa2EDTA: 10 mg/ml) und i.v. oder s.c. verabreichen. Maximale Gesamtdosis: 0.5 g/kg/Tier, das heisst nie länger als 5 Tage behandeln. Falls notwendig eine Pause von 5 Tagen einschalten, bevor die Therapie wiederholt werden kann. Nebenwirkungen: Nephrotoxizität, Erbrechen, Durchfall.- CaNa2EDTA nicht peroral verabreichen, weil dadurch die intestinale Absorption der Schwermetalle gefördert würde.- CaNa2EDTA ist bei Vergiftungen mit organischen Bleiverbindungen erfolglos.- Alternative beim Hund: D-Penicillamin, 8 mg/kg 4mal täglich oder 10-55 mg/kg 2mal täglich p.o. Penicillamin muß auf nüchternen Magen gegeben werden, löst aber Erbrechen aus. Die zusätzlich Verabreichung eines Antiemetikums könnte notwendig sein. D-Penicillamin kann auch gebraucht werden, um eine mit CaNa2EDTA begonnenen Therapie fortzusetzen.- Neuere Alternative beim Hund: Succimer (DMSA = meso-Dimercaptosuccinylsäure), 10 mg/kg 3mal täglich oral über 10 Tage. Vorteil: geringere Nebenwirkung auf Nieren und Magen-Darm-Trakt.
7.4 Weitere symptomatische Maßnahmen
- Antiemetika: Metoclopramid oder Domperidon- Antibiotische Versorgung: Breitspektrumantibiotika- Supplementierung von Thiamin: 1-2 mg/kg i.m. oder 2 mg/kg p.o. alle 24 Stunden
7.5 Chirurgie bei Megaösophagus
Es kann der Versuch unternommen werden, den Megaösophagus chirurgisch zu behandeln. Die Prognose ist jedoch sehr vorsichtig zu stellen.
8. Fallbeispiele
8.1 Eine Schäferhündin (23 Monate) wird schon seit 9 Tagen erfolglos wegen einer hämorrhagischen Gastroenteritis behandelt. Laborbefunde: Hämatokrit erniedrigt, Harnstoff erhöht, Bleigehalt im Blut 1.2 ppm Röntgen: Ansammlung einer strahlendichten Masse im Magen Therapie: Entfernung der Bleistücke aus dem Magen, Infusionen mit Elektrolyten und Bicarbonat, CaNa2EDTA (15 mg/kg i.v. 2mal täglich über 5 Tage), Siliciumdioxid als Darmabsorbens, Ranitidin (2 mg/kg p.o. 2mal täglich); ab dem dritten Behandlungstag zusätzlich D-Penicillamin (10 mg/kg p.o. 2mal täglich) Verlauf: Entlassung nach sechs Tagen (Thüre & Kaiser, 1995).
8.2 Ein 4 Monate alter deutscher Schäferhund wurde wegen Appetitlosigkeit, häufigem Vomitus und Diarrhoe überwiesen. Die klinische Untersuchung ergab Magerkeit, leichte Anämie und erhöhte Bauchspannung. Röntgenologisch fanden sich im Abdomen viele kleine Metallschatten, die nach anamnestischen Angaben von zerkauten Lineoleumstückchen kommen könnten. Am Skelett waren linien- oder streifenförmige Verdichtungsbezirke unterschiedlicher Lokalisation festzustellen (besonders im Bereich der Metaphysen). Diese Sklettveränderungen wurden als eine chronische Bleivergiftung gedeutet (Rück et al., 1994).
8.3 Ein Ara (18 Monate) hat Teile von Bleigewichten gefressen. Symptome: keine Röntgen: Es sind röntgendichte Partikel im Kropf und Ventriculus sichtbar. Therapie: Kropf-Spülung unter Isofluran-Narkose, CaNa2EDTA (30 mg/kg i.m. 2mal täglich über 9 Tage), Vitamine, Calcium-Gluconat, pflanzliches Laxans, Erdnußbutter. Verlauf: Der Ara bleibt symptomlos. Bei einer röntgenologischen Kontrolle nach zwei Wochen sind die Bleipartikel aus dem Ventriculus verschwunden (Archambault & Timm, 1994).