Was spricht für die Kastration einer Kätzin?
Autor: Michael Grimm (kastration@odo.in-berlin.de)
Version: 1.1
Letzte Revision: 10.01.2005
Originalfassung:
http://www.odo.in-berlin.de/kastration.html
Copyright © 2002-2005 by Michael Grimm
Dieser Text darf nur in unveränderter Form und nur mit einem klar erkennbaren Verweis auf die Originalfassung
http://www.odo.in-berlin.de/kastration.html für eigene Webseiten übernommen werden!
Dieser Text ist entstanden, da die Gründe für die Kastration einer Kätzin in der Newsgruppe de.rec.tiere.katzen häufig hinterfragt werden. Deshalb möchte ich versuchen, die rein medizinischen Aspekte zusammenzufassen.
Sofern nicht anders angegeben, stützt sich dieser Text auf zwei Lehrbücher der Veterinärmedizin [1,2] und ein kürzlich erschienenes Fachbuch über Tumorerkrankungen [3].
1. Krebsgefahr
Der Sexualzyklus der Katze ist wie bei allen Säugetieren hormongesteuert, d.h. ein kompliziertes Wechselspiel zwischen verschiedenartigen Hormonen läßt eine Katze rollig werden, steuert nach einer Aufnahme die Schwangerschaft und leitet schlußendlich die Geburt ein. Danach sind hormonelle Vorgänge für die Milchproduktion verantwortlich, auch das Versiegen der Milch ist hormongesteuert [4].
Die hierbei wichtigsten Hormone sind Estradiol und Progesteron. Man weiß schon seit vielen Jahren, daß diese für uns so lebenswichtigen Hormone leider auch beim Wachstum von Tumoren involviert sind. Sie stehen sogar in Verdacht, direkt Krebs auszulösen, beim Zervikalkarzinom (Gebärmutterhals) des Menschen ist dies bereits bewiesen.
Die Krebsentstehung geschieht vornehmlich in dem Körpergewebe, in dem die für diese Hormone vorgesehenen Rezeptoren [5] sitzen, also in den Sexualorganen, und vor allem, dort wo sie gebildet werden, also in den Eierstöcken.
Bei jeder Rolligkeit schüttet eine Katze eine große Menge dieser Hormone aus, womit sich das Risiko für sexualhormon-induzierte Krebsformen erhöht. Beim Mammakarzinom (Brustkrebs) bspw. ist das Risiko für eine unkastrierte Kätzin im Vergleich zu einer kastrierten um den Faktor 7 erhöht [6,7]. Ein Mammakarzinom ist äußerst bösartig, weshalb die Prognose für eine erkrankte Katze sehr schlecht ist [8]. Eine Kastration verringert übrigens unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Durchführung das Risiko für Karzinome deutlich [9,10]. Zum Glück sind Mammakarzinome bei der Katze nicht so häufig wie beim Hund. Weitere von Krebs betroffene Organe sind Eierstöcke und Gebärmutter.
Die Verringerung dieser Karzinomgefahr ist ein wichtiges Argument für die Kastration einer Katze [11].
2. Gefahr für die Gebärmutter
Ein weiteres Argument für eine Kastration ist eine mitunter tödlich verlaufende Komplikation unkastrierter Katzen, die man unter dem Sammelbegriff des Pyometra-Endometritis-Komplexes zusammenfaßt. Hierbei handelt es sich um entzündliche Prozesse der Gebärmutter (Pyometra), der Gebärmutterschleimhaut (Endometrium) und/oder Gewebeveränderungen (Hyperplasie).
Es gibt im wesentlichen zwei Ursachen für solche Pyometren, Endometritiden und Endometriumhyperplasien, und zwar Infektionen der Gebärmutter oder aber Störungen im hormonellen Gleichgewicht des Zyklusgeschehens.
Ich zitiere einmal wörtlich aus [1] (die Fußnoten stammen von mir):
Dabei wirken fortgeschrittenes Alter (meist ab 5-6 Jahren), Nichtbenutzung der Reproduktionskapazität (vorwiegend nullipare [12] Tiere) und Hormonbehandlungen (Östrogene, Gestagene) prädisponierend [13].
Also auch hier spielen Hormone eine Rolle, dabei ist es egal, ob sie zugeführt werden (Hormonbehandlung), oder ob sie im Verlauf des Sexualzyklus' produziert werden.
Wer seine Katze über Jahre rollen läßt, ohne daß es zu einer Schwangerschaft kommt, der bedenke bitte den Punkt "Nichtbenutzung der Reproduktionskapazität".
Eine Gebärmutterentzündung ist immer eine gefährliche Erkrankung, die schnellstens behandelt werden muß, in der Regel durch eine chirurgische Entfernung (Hysterektomie). Leider erkennt ein Laie eine solche Entzündung meist erst in einem Stadium, wo nur noch eine Operation möglich ist.
Warum ist eine solche Entzündung so lebensgefährlich? Weil die Gebärmutter sich mit Eiter füllt, die Gebärmutterschleimhäute und Gebärmutterwände sich "auflösen" und brüchig werden. Im Endstadium "platzt" die Gebärmutter und der Eiter ergießt sich in die Bauchhöhle, die sich daran anschließende Entzündung im Bauchraum endet in der Regel tödlich.
Selbst die Operation ist gefährlich, da das Gewebe so brüchig sein kann, daß der Chirurg sie mit Samthandschuhen anfassen muß, damit sie ihm beim Herausholen nicht unter den Händen platzt.
3. Gefahr der Dauerrolligkeit
Der Sexualzyklus einer Katze unterscheidet sich fundamental von dem einer Frau. Zur Erklärung der Dauerrolligkeit muß ich auf diese Unterschiede näher eingehen.
Der Sexualzyklus beginnt mit einer durchschnittlich sieben Tage andauernden Follikelphase [14]. In diesem Zeitraum reifen an jedem der beiden Eierstöcke (Ovarien) drei bis sieben Follikel heran, also Vorstufen der zu befruchtenden Eier.
Bei der Frau wird das Ei (selten die Eier) mittels Eisprung (Ovulation) in die Gebärmutter verbracht, wo es auf seine Bestimmung einen Zyklus lang wartet. Im Falle einer verpaßten Befruchtung kommt es am Ende eines Sexualzyklus zur Ablösung aus der Gebärmutterschleimhaut, was in einem blutigen Vorgang (Menstruation) endet.
Bei der Kätzin hingegen kommt es erst 25 bis 32 Stunden nach der Paarung zum Eisprung, ausgelöst durch einen Vaginalreiz über die sogenannten Penisstacheln des Katers. Die ausgereiften Eier wandern in die Gebärmutter, wo sie von den immer noch fertilen Spermien befruchtet werden. Es werden also keine Eier in der Gebärmutter "vorgehalten" [15].
Kommt es im Verlauf der Rolligkeit zu keinem Deckakt, gibt es auch keinen Eisprung. Man spricht dann von einem sogenannten anovulatorischen Zyklus. Im Normalfall bilden sich nun die zuvor ausgebildeten Follikel zurück (Follikelatresie), und es folgt durch die hierbei ausgelöste hormonelle Zyklusumstellung eine mehr oder minder lange Ruhephase. Danach beginnt eine erneute Rolligkeit, und diese Aneinanderreihung von Rolligkeits- und Ruhephasen wird nur durch eine Schwangerschaft oder das saisonale Erliegen der Rolligkeit im Winter unterbrochen.
Je häufiger solche Zyklen ohne abschließende Schwangerschaft durchlaufen werden, desto größer wird die Gefahr, daß es zu einer gefährlichen Anomalie im Anschluß an eine Follikelphase kommt: Statt der normalen Rückbildung der Follikel entarten diese zu Zysten. Aufgrund der damit gleichzeitig ausbleibenden hormonellen "Beruhigung" des Zyklus wird die Katze dauerrollig. Die Katze ist unruhig und magert wegen Freßunlust [16] stark ab. Durch das starke Anschwellen der Schleimhäute im Uro-Genitaltrakt kann es zu erschwertem Harnabsatz kommen, die Zysten auf den Eierstöcken sind je nach Zeitdauer der Dauerrolligkeit mehr oder minder groß.
Die Dauerrolligkeit (Nymphomanie) ist eine ernsthafte und bedrohliche Erkrankung für die Katze und bedarf unbedingt einer tierärztlichen Betreuung. Man kann versuchen, den aus dem Ruder gelaufenen Sexualzyklus durch Hormongabe zu "bändigen". In der Regel wird der TA aber eine Kastration inklusive Gebärmutterentfernung (Ovariohysterektomie) vornehmen.
4. Persönliche Anmerkung
Es soll nicht der Eindruck entstehen, daß die oben aufgeführten möglichen Komplikationen auf jeden Fall eintreten werden, wenn man eine Kätzin nicht kastriert. Ich bin allerdings davon überzeugt, daß man sie einem erhöhten Risiko aussetzt, ernsthaft zu erkranken. Deshalb ließe ich persönlich meine Katzen immer kastrieren.
5. Literatur
[1] V. Schmidt/M. Horzinek, "Krankheiten der Katze, Band 1+2", Enke Verlag, Stuttgart 1997
[2] W. Kraft/U. M. Dürr, "Katzen-Krankheiten", Schaper Verlag, Hannover 2003
[3] Kessler, "Kleintieronkologie", Parey Verlag, Berlin 2000
[4] Es gibt noch wesentlich mehr hormonell gesteuerte Vorgänge, aber ich beschränke mich auf's Thema: Kastration.
[5] Ein Rezeptor ist ein Protein (Eiweißmolekül), das eine für ein bestimmtes Hormon spezifische Bindestelle hat und darüber einen vom Hormon "vorgesehenen" Effekt auslöst.
[6] Dorn et al., J. Natl. Cancer Inst. 1968, 40, 295-305
[7] Dorn et al., J. Natl. Cancer Inst. 1968, 40, 307-318
[8] Ungefähr 80 bis 90 Prozent aller Mammatumoren neigen zum raschen Wachstum und zur Metastasierung in die regionalen Lymphknoten und Lunge.
[9] Hayes et al., Vet. Clin. North Am. [Sm. Anim. Pract.] 1985, 15, 513-519
[10] Misdorp et al., Tijdschr. Diergeneeskd 1992, 117, 2-4
[11] Sinngemäß trifft dies auch auf den Kater zu.
[12] Nullipar ist der medizinische Ausdruck für solche Frauen, die niemals entbunden haben, hier natürlich Kätzin.
[13] Einem erhöhten Risiko ausgesetzt
[14] Das ist die vom Besitzer beobachtete Phase, in der die Katze sich abrollt (Rolligkeit), ausgeprägte Laute (Raunze) verlauten läßt und zu häufigerem Urinieren und Harnmarkieren neigt.
[15] Deshalb muß auch kein Ei aus der Gebärmutterschleimhaut abgestoßen werden, während die Katze rollig ist. Ergo, hat die Katze auch keine Menstruation.
[16] Diese Freßunlust kann auch bei einer normalen Rolligkeit beobachtet werden.
Quelle: http://www.odo.in-berlin.de/kastration.html