Im Schlafzimmer spukt es. Meint Flori. Vor einer Woche ist dort ein großer roter Kater verschwunden, und seitdem erklingen immerzu merkwürdige Geräusche, es riecht komisch unter der Türritze hindurch, und Fritz und Flori dürfen nicht mehr hinein. Bestimmt, weil das zu gefährlich ist. So ein Spuk ist ja nicht ohne. Flori weiß das, weil die Mama die bisherigen acht Staffeln von „Supernatural“ hat und man im Haushalt daher quasi Experte für den Umgang mit dem Übernatürlichen ist.
Die Mama gruselt sich auch ein wenig. So ganz geheuer sind ihr die seltsamen Vorgänge hinter der Schlafzimmertür auch nicht. Dass der Dicke beim ersten Tageslicht in seiner Kiste verschwindet wie Graf Dracula und erst nach Einbruch der Dämmerung wieder zum Vorschein kommt, stimmt den erfahrenen Gruselseriengucker ja schon leicht paranoid …
Samstag ist bei mir Putztag. Ich hadere ein bisschen mit mir, entschließe mich dann aber doch zu einem barbarischen Akt der Tierquälerei und schleppe den Staubsauger ins Schlafzimmer. Dort sieht es aus wie Hulle, nachdem ich sämtliche eingegangenen Leckerli-Tipps ausprobiert und für gescheitert erklärt habe. Leckerstangen, Schmierkäse, Malzpaste, diverse Wurstsorten und Hackfleisch sind verschmäht worden und haben mir nur verwunderte Blicke eingebracht: Was soll ich denn damit, soll ich das etwa essen? Das ist doch nicht dein Ernst!
Mir ist ein bisschen mulmig. Mag keine Leberwurst, verschwindet vor dem ersten Sonnenstrahl in einer Kiste … soll ich die blöde Wurmtablette etwa in Blutwurst kredenzen? Besorgt sauge ich den krümeligen Teppich ab und brabbele dabei beruhigende Worte in Richtung Weihnachtsgruft. Dort indessen rührt sich nichts. Graf D. schläft halt wie ein Untoter.
Abends versuche ich es mit Tunfisch. Der Fürst der Finsternis hockt auf dem Dielenschrank, lugt von dort herab wie ein mittelalterlicher Wasserspeier und kriegt große Augen, als die Tunfischdose aufgeht. Kaum ist der Deckel ab, ist der Dicke da und tunkt die Nase rein. Ich bin sehr erleichtert, doch noch kätzische Züge an unserem Gast zu entdecken, und wähle ein großes Stück Tunfisch aus, in das ich sorgfältig die kostbare Wurmtablette hinein operiere. Unter säuselndem „Ei feeeiiiiiinnes Lecker“ biete ich’s dem Grafen dar. Tommy schnappt sich den Fisch, schmatzt begeistert, erstarrt zur Salzsäule und spuckt die Tablette aus.
Ich nehme mir die Politik zum Vorbild und gehe zu Plan A2 über. Die angematschte Wurmtablette wird klein gemörsert und mit Tunfisch vermischt. Tommy hockt beleidigt auf dem Dielenschrank und drückt seine tief empfundene Enttäuschung über den ihm angetanen Verrat aus. Ich säusele und winke mit dem Tunfischteller. Der Graf entschließt sich, noch einmal Gnade vor Recht ergehen zu lassen, und lässt sich vom Schrank herab. Ich stelle den Teller hin und halte den Atem an. Tommy leckt einmal kurz am Tunfisch, dann weicht er zurück, als wär’s ein Knoblauchbund, schaut mit wehem Blick empor zu mir und erhebt sich in luftige Höhen. Noch einmal sehe ich kurz eine flammend rote Schwanzspitze leuchten, bevor der Graf in der Kiste verschwindet und der Deckel sich schließt.
Nun ist mir doch ein wenig beklommen zumute. Flori, mein kleiner Pragmatiker, hat sich bereits zum Handeln entschlossen und versucht, einen Salzkreis zu streuen, so wie sie’s bei Supernatural immer machen, um Unholde fernzuhalten – okay, er hat sich ein bisschen vertan und stattdessen Zucker und Röstzwiebeln herum geschüttet, und so ein richtiger Kreis ist es auch nicht geworden, aber was zählt, ist schließlich der gute Wille.
Vielleicht muss ich doch zum Verabreichen der Wurmtablette auf die Widerwärtigkeiten der westfälischen Küche zurück greifen und sie dem Grafen in Möpkenbrot gepackt servieren.
Flori hat "Supernatural" geguckt: Salz is alle, aber Röstzwiebeln waren noch da!
Biss zum Möpkenbrot