Dawn of the Cat
EIN FRIEDHOFSTHRILLER
Vom nahen Kirchturm schlägt es Mitternacht. Schwarz und reglos stehen die Friedhofsbäume vor dem bleichen Mond, der oben am samtenen Sommerhimmel hängt wie ein abgetrennter Katerbommel. Ein Käuzchen gleitet auf leisen Schwingen durch die Schatten. Hell glühen die Augen der Nachtkreatur. Doch was ist das? Da oben, auf dem Garagendach des Hauses neben der Friedhofsgärtnerei flammt mit einem Male ein zweites, loderndes Augenpaar auf: Die Perserkatze, die dort seit kurzem mit ihrer menschlichen Familie lebt, hat den gefiederten Geist der dunklen Stunde erblickt und reckt die stumpfe Nase witternd in die warme Luft. Der nächtliche Greifer dreht ab und kehrt mit klagendem Ruf zurück in sein stilles Revier.
Die Katze entschließt sich, ihm zu folgen. Lautlos springt sie vom Garagendach herab und landet auf der kleinen Wiese hinter der Friedhofsgärtnerei. Das soll sie eigentlich nicht. Die Katze ist nämlich eine Wohnungskatze mit strenger Order, das Garagendach nicht zu verlassen.
Um halb zwei stellen die Wohnungskatzenhalter fest, dass die Katze das Garagendach verlassen hat und auf der Wiese sitzt. Sie erheben ein weithin hörbares Geschrei des Inhalts, dass die Katze gefälligst umgehend aufs Garagendach zurückkehren solle. Über der Friedhofsgärtnerei sieht sich das Gärtnerpaar auf diese Weise um den wohlverdienten Nachtschlaf gebracht. Die Nachbarn klettern jetzt mit Taschenlampen auf dem Garagendach herum und schreien die Katze an. Die Gärtnerin und die bei ihr lebenden Prinzessinnen ängstigen sich ob des Geschreis. Der Gärtner knallt das Fenster zu.
Auf dem Garagendach versucht man es nun mit Logik und geht zur Strategie „Der Ball ist in den Teich gefallen“ über. Durch gezielte Würfe mit Holzstückchen soll die Katze in Richtung Garagendach getrieben werden. Die Katze deutet die Strategie falsch und flüchtet vor den fliegenden Wurfgeschossen in Richtung Friedhof. Die auf dem Garagendach stehende Familie entschließt sich zur Verfolgung des flüchtigen Haustiers. Der kürzeste Weg zum Friedhof führt über das Gelände der Gärtnerei. Also klingelt man bei Gärtners. (Es ist kurz nach zwei Uhr morgens.) Gärtners haben sich grade wieder hingelegt und stehen nun senkrecht im Bett, die Prinzessinnen sind panisch.
Da wider Erwarten nicht sofort jemand an die Sprechanlage kommt und nach dem Begehr der nächtlichen Besucher fragt, betätigt man voller Ungeduld auch noch die zweite Klingel. Nun steht auch noch eine müde Redaktionsassistentin zwischen zwei dicken Katern senkrecht im Bett. Mit nächtlichem Klingeln verbindet man ja selten erfreuliche Neuigkeiten. Die müde Assistentin kämpft sich aus der verhedderten Bettdecke und stolpert zur Sprechanlage, wobei sie beinahe von drei dicken Katern zu Fall gebracht wird, die erwartungsvoll in der Küche ihren Weg kreuzen. Dafür hat das Katerfrauchen aber jetzt keinen Kopf. Es betätigt den Sprechknopf und ruft angstvoll „Hallo?!“ in Erwartung des Zeitungsboten, der ein Feuer im Erdgeschoss entdeckt hat, oder anderer unangenehmer Nachrichten.
Es ertönt jedoch keine Antwort, denn der Verfolgertross ist bereits ungeduldig weiter gezogen. Mit einer Umzingelungstaktik versucht man die Katze einzukreisen. Die Koordination der Truppenteile erfolgt über lautes Rufen, das sich, wenn man nicht weiß, worum es geht, irgendwie bedrohlich anhört.
Auch aus der Küche der müden Assistenz erklingen bedrohliche Rufe, die sie jedoch nicht beachtet. Stattdessen zieht sie Rollladen hoch, öffnet Fenster, blickt umher. Die Straße liegt wie ausgestorben. Irgendwo klappt noch eine Haustür, kurz hört man noch leises Gemurmel, dann ist es still. Die müden und verschreckten menschlichen und tierischen Bewohner des Hauses über der Friedhofsgärtnerei können sich den Spuk nicht recht erklären, liegen lange wach und lauschen in die Sommernacht.
Früh am nächsten Morgen klingelt bei der Assistenz der Wecker. Nebenan drehen sich die Gärtner noch einmal um, während ihre müde Nachbarin die Treppe herunter schlurft und die Zeitungen herein holt. Leider übersieht sie bei ihrer Rückkehr einen ihrer dicken Kater, der sich unter der Flurkommode verschanzt hat.
Und so werden die armen Gärtner nach der kurzen, lauten Nacht von einem tauben Kater geweckt, der auf ihrer Türmatte sitzt und markerschütternd brüllt, weil sein verschlafenes Frauchen ihn versehentlich ausgesperrt hat.
Creatures of the Night
(Danke für die vielen Blumen!
😳 @Profeus: Das Buch kann man ganz normal im Online-Buchhandel kaufen oder beim Buchhändler um die Ecke bestellen.
🙂)