Auch Prinzessinnen haben es mitunter schwer. Am Sonntagabend haben wir mit einer angeschwollenen Chili noch einen Ausflug in die Tierklinik gemacht, wo ein Bienenstachel aus der Schnute entfernt wurde, und dieses Wochenende ist das Personal zu einer Familienfeier abgereist und hat die Damen in meiner Obhut zurück gelassen.
Am Freitagnachmittag komme ich arg lädiert nach Hause. Ein Wetterumschwung liegt in der feuchtwarmen Luft, ich habe schlimmes Kopfweh und würde am liebsten ohne Abendessen ins Bett gehen. Katzen haben für derlei Wehwehchen hingegen nur sehr wenig Verständnis und noch weniger Mitleid und kämen nie auf die Idee, ohne Abendessen ins Bett zu gehen. Bevor ich also mein gepeinigtes Haupt zur Ruhe betten kann, wollen sechs Katzenklos gesäubert und fünf hungrige Mäuler gestopft sein.
Ich versorge meine drei Kater und wanke über den Flur. Dort scharrt es schon erwartungsfroh an der Tür. Ich schließe auf und quetsche mich rasch durch den Spalt. Drinnen werde ich von Chili freudig begrüßt. Ich glotze trübe auf die Katze. Chili. Verdammt. Eine Katze. Wo ist Nummer zwei?
Von Chili enthusiastisch umtanzt, schlurfe ich umher und rufe schwach Tapsys Namen. Tapsy lässt sich nicht blicken. Ich nehme eine Leckerchendose und schüttele sie. Keine Spur von Tapsy. Mir bricht der Schweiß aus, das ist der Alptraum aller Catsitter: Das mir anvertraute Tier ist irgendwie verloren gegangen. Aber wie? Alle Türen und Fenster sind fest verschlossen, und heute Morgen, als ich sie nach dem Frühstück verlassen habe, waren beide noch da. Oder …?
Oder etwa nicht? Ich bin schon mit Kopfschmerzen aufgestanden, vielleicht habe ich in meinem Schmerztran gar nicht mitbekommen, dass mir eine Katze entwischt ist? Vielleicht ist sie in den Keller gelaufen, hat sich dort versteckt, um später, als der Blumenladen aufmachte und die Blumenmädels durch das Haus wuselten, verängstigt ins Freie zu flüchten, und nun irrt sie auf dem Friedhof herum und findet nicht nach Hause …
Tapfer ringe ich mit der aufsteigenden Panik und hole meine Taschenlampe aus der Wohnung. Fange die in den Keller huschende Chili wieder ein und trage die protestierende Prinzessin die Treppen hinauf. Tapsy kann nicht weg sein, das hätte ich doch gemerkt!
Systematisch durchsuche ich die Nachbarwohnung. Schränke, Regale, Höhlen. Leuchte in die Ritze in der Küchenblende, wo sich Tapsy manchmal versteckt. Rufe und rappele mit der Dose. Chili ist begeistert von dem Unterhaltungsprogramm und folgt mir auf Schritt und Tritt. Trotz mehrmaliger Aufforderung verrät sie mir aber nicht, wo ihre Schwester steckt.
Ich setze meine Suche im Schlafgemach der Katzeneltern fort. Chili und ich gucken unters Bett. Chili freut sich sehr über den Lichtkegel der Taschenlampe, der die trostlose Weite des Fußbodens beleuchtet. Immer noch keine Spur von Tapsy. Mein Puls steigt, ich schwitze Blut und Wasser. Diese Familienfeier wird den Nachbarn ewig in Erinnerung bleiben. Wenn ich Tapsy nicht finde, muss ich sie anrufen.
Da fällt mein Blick auf die Transportbox, die kopfüber im Wäschekorb liegt. Komischer Aufbewahrungsort für eine Transportbox. Meine stehen auf dem Kleiderschrank. Ich rappele mich mühsam hoch und sehe mir die Transportbox genauer an.
In der Transportbox erhebt sich ein getigerter Schatten, und große grüne Augen sehen mich vorwurfsvoll an: Na endlich, wo bleibst du denn, wurde aber auch mal Zeit! Offenbar bewahrt auch die Nachbarin ihre Transportbox für gewöhnlich nicht im Wäschekorb auf, sondern auf der Kommode. Wie Tapsy es geschafft hat, hineinzuklettern und samt der Box mit der Öffnung nach unten in der Wäsche zu landen, ist mir ein Rätsel. Aber ich versuche erst gar nicht, es zu lösen. Ich bin viel zu erleichtert, dass die Prinzessin wohlbehalten wieder aufgetaucht ist.
Die Erleichterung der Prinzessin hält sich dagegen in Grenzen. Eigentlich wäre nach der langen Kerkerhaft ja wohl ein opulentes Mahl angebracht, vielleicht auch ein schönes Feuerwerk oder wenigstens ein paar Böllerschüsse zur Verbreitung der frohen Kunde. Stattdessen muss sich Ihre Hoheit nun vom Fremdpersonal auf den Arm nehmen, drücken und knutschen lassen. Pfui bäh!
Prinzessinnen, vervollständigt (hier im Angesicht einer Taube)
@alle Innendekorateure: Das Potenzial des Badregals ist selbstverständlich schon von Flori entdeckt worden, nachdem Fritz diesen wundervollen Ort auch seinen Mitkatzen nahe gebracht hat. Nun stelle ich halt jeden Abend den Spiegel und meine Kiste mit Parfümfläschchen und Kosmetik auf den Fußboden ...
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@alle Mondromantiker: Sollte ich demnächst mal wieder das Vergnügen haben, einem operativen Eingriff zur Regulation urbaner Katzenpopulationen beiwohnen zu dürfen, nehm ich die Kamera mit und mache Vergleichsfotos.
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