Katzen vor Gericht
Heute: Der Staat gegen Kater Henry
Richter: Angeklagter. Sie werden beschuldigt, am Morgen des dritten Oktober zweitausendsechzehn einen Plan zur Ausführung gebracht zu haben, welcher den Tatbestand des versuchten Mordes zum Nachteil Ihres Mitkaters Flori erfüllt haben soll. Sie haben sich dazu entschieden, auf einen Rechtsbeistand zu verzichten und sich selber zu verteidigen. Was haben Sie zum Tatvorwurf zu sagen?
Angeklagter: Ich hab nix gemacht!
Staatsanwalt: So, so, Sie haben nix gemacht. Dann trifft es also nicht zu, dass Sie am Morgen des besagten Tages Ihrem Mitkater Fritz, als dieser im Bett Ihres Personals saß, heimtückisch und hinterrücks eine Ohrfeige verpasst haben?
Angeklagter: Ach so, das. Ja, das kann sein. Dem hau ich ja öfter mal auf die Mütze, da weiß ich jetzt nicht so genau, an welchem Tag das immer war.
Staatsanwalt: Sie geben also zu, dass es am Morgen des dritten Oktober in der erwähnten Form zu Gewalttätigkeiten gegen den Kater Fritz gekommen ist?
Angeklagter: Nö, ich hab dem nur auf die Mütze gehauen.
Staatsanwalt: Wie dem auch sei. Als es also zu der erwähnten Gewaltanwendung gegen Ihren Mitkater kam, wo befand sich da das Personal?
Angeklagter: Das lag im Bett. Darum waren wir ja alle im Schlafzimmer. Weil, das liegt da immer rum, obwohl wir Hunger haben und das Frühstück machen soll, anstatt rumzuliegen.
Staatsanwalt: Und als Sie gegen Ihren Mitkater gewalttätig wurden, wo befand sich da die Hand des Personals?
Angeklagter: Sie meinen, als ich dem auf die Mütze gehauen hab? Da hat das dem Fritz die Ohren gekrault.
Staatsanwalt: Gegen welchen Körperteil Ihres Mitkaters richtete sich die von Ihnen ausgeübte Gewalt?
Angeklagter: Sie meinen, wo ich den auf die Mütze gehauen hab? Na, wo schon? Auf die Ohren natürlich. Wo soll man einen denn sonst auf die Mütze hauen? Was ‘ne doofe Frage.
Staatsanwalt: Sie geben es also zu. Entspricht es den Tatsachen, dass bei der erwähnten Gewaltanwendung auch die Hand des Personals in Mitleidenschaft gezogen wurde?
Angeklagter: Nee, bloß ‘n Finger.
Staatsanwalt: Und trifft es ferner zu, dass besagter Finger dabei verletzt wurde?
Angeklagter: Nö, die hat bloß ‘n Kratzer gehabt.
Staatsanwalt: Aha. Bloß einen Kratzer. Können Sie uns beschreiben, wie Ihr Personal üblicherweise reagiert, wenn es am Finger gekratzt wurde?
Angeklagter: Ja, die greint dann immer rum und so. Wegen einem so’n blöden Kratzer!
Staatsanwalt: Und bleibt es beim Greinen? Oder ergreift das Personal dann auch noch andere Maßnahmen?
Angeklagter: Ja klar, die klebt dann immer gleich ein Pflaster drauf. Wegen einem so’n blöden Kratzer!
Staatsanwalt: Aha! Sie klebt also ein Pflaster drauf. Und was macht sie dann? Wie geht sie zum Beispiel mit der Entsorgung der kleinen Blättchen um, die vor dem Draufkleben von der Klebeseite des Pflasters entfernt werden müssen? Wirft sie die gleich weg? Oder lässt sie sie rumliegen?
Angeklagter: Die lässt sie rumliegen. Die lässt ja alles rumliegen. Außer Essen, das räumt die immer weg, wo wir nicht dran können, oder isst das auf. Voll gemein ist das! Aber was man nicht essen kann, das lässt die rumliegen.
Staatsanwalt: Und Ihr Mitkater Flori? Wie verhält der sich gegenüber Sachen, die rumliegen? Ignoriert er sie? Geht er ihnen aus dem Weg?
Angeklagter: Nö, sowas macht der nicht.
Staatsanwalt: Ist es nicht vielmehr so, dass Ihr Mitkater Flori für seine Neigung bekannt ist, in alles seine Nase reinzustecken? Und dass somit diese Neigung auch Ihnen bekannt gewesen sein muss?
Angeklagter: Ja klar.
Staatsanwalt: Euer Ehren! Der Angeklagte leugnet seine Tat nicht nur nicht, ja, er scheint auch noch stolz darauf zu sein. Eine Tat, wie sie mir in ihrem perfiden Kalkül in meiner gesamten Laufbahn noch nicht begegnet ist. Ich sehe es als erwiesen an, dass der Angeklagte die Ohren seines Mitkaters Fritz nur als scheinbares Ziel seiner Attacke auswählte, um den Finger seines weinerlichen Personals zu verletzen und es so dazu zu bringen, die Verletzung zu verpflastern und die Pflasterblättchen herum liegen zu lassen, sodass der Geschädigte durch das dem Angeklagten bekannte Nasereinstecken einen kaum auflösbaren Kontakt zwischen dem Pflasterblättchen und seiner Vorderextremität herbeiführte und so an dem an seiner Nase klebenden Pflasterblättchen nicht nur möglicherweise, sondern vom Angeklagten geplant und bewusst mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen grausamen Erstickungstod hätte sterben können!
Angeklagter: Isser aber nicht, das Personal hat dem doch sofort das Blättchen von der Nase gerupft, die olle Spaßbremse. Das sah nämlich voll lustig aus.
Richter: Mehr haben Sie dazu nicht zu sagen?
Angeklagter: Ich hab Hunger. Kann ich jetzt nach Hause?
Richter: War das schon Ihr Plädoyer?
Angeklagter: Ich hab nix gemacht!
Staatsanwalt: Euer Ehren, ich beantrage lebenslange Kerkerhaft bei Birkenwasser und Tofu-Trofu für den Angeklagten!
Angeklagter: Was iss’n Tofu?
Richter: Das Gericht zieht sich jetzt zur Beratung zurück.
Das Urteil lautete auf lebenslange Kerkerhaft bei Birkenwasser und Tofu-Trofu mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Leider befindet sich der Angeklagte nach wie vor auf freiem Fuß, weil er wegen Hungers nach Hause gegangen war, ohne die Urteilsverkündung abzuwarten. Der gefährliche Kriminelle treibt also nach wie vor sein Unwesen inmitten unbescholtener Kater.
Grauenhaftes Opferfoto
Nostalgischer Nachschlag: Meine Eltern hatten übrigens eine Schrankwand mit drehbarem (verspiegeltem) Barfach, der absolut letzte Schrei. Beinahe wären sie darüber kinderlos geworden. Während der äußerst langwierigen Auswahl im Möbelhaus haben sie mich irgendwo in einem Sessel geparkt und mir ein Buch in die Hand gedrückt, um dann auf dem Parkplatz glücklicherweise noch zu bemerken, dass sie mich vergessen hatten.