@mikesch: Ich befürchte, die Versuchsanordnung enthält einen entscheidenden Fehler, nämlich die Singularität des Versuchsobjektes. Bei einer Konstellation von mindestens zwei, besser noch drei vorzugsweise männlichen Objekten kann man nicht nur das Gehirnaussaugen, sondern auch dessen Folgen beobachten und zu keinem anderen Schluss als zu dem des Vorhandenseins eines Zwischenohrhohlraumes gelangen. Wenn man beispielsweise Zeuge wird, wie drei Hohlrauminhaber eine Stunde lang mit brummigen Gesichtern um eine Spielmaus hocken, die vorher wochenlang vollkommen unbeachtet herum gelegen hat, bis sie einer mit der Pfote bewegt hat.
Gut, auch in meiner Anordnung fehlt ein Element. Ein Stück Putenbrust könnte möglicherweile Resthirnstücke aktivieren und die Konzentration von der Spielmaus auf die Putenbrust verlagern.
Und in stressbedingten Ausnahmesituationen zeigt zumindest der Rudelführer hin und wieder Ansätze von Intelligenz:
Ja, nun ist er dahin, der Sommer 2016. Voller Wehmut blicken wir in den grauen Himmel, dem die Bäume ihre nackter werden Äste entgegen recken, und erinnern uns an einen kühlen Frühling, einen viel zu kalten August und einen viel zu heißen Spätsommer. Und wir erinnern uns an den letzten schönen Sonntag im Oktober. Den Tag, an dem wir nochmal bei zwanzig Grad durch Feld und Wiese radelten, ein letztes Schoko-Vanille-Amarena-Eis im Waffelhörnchen kauften und mit unserem dicken Kater in der Sonne saßen.
So sah jedenfalls mein letzter Sommertag aus. Morgens bin ich mit dem Rad unterwegs gewesen und habe dreierlei festgestellt: 1. Beim Aufpumpen ist der Reifen aus der Felgennut gesprungen, und nun eiert das Hinterrad. 2. Die Gänse in den Wiesen am Fluss sind schon fort geflogen. Ohne sich von mir zu verabschieden. 3. Seit ich den Bürojob habe, kriege ich von läppischen 20 Kilometern Radfahren Muskelkater. Und meine Trekkinghose scheint irgendwie eingelaufen zu sein. Jedenfalls kneift sie am Bauch.
Das alles deprimiert mich dermaßen, dass ich meinen Frust in der benachbarten Eisdiele kompensiere und meinen Muskelkater (ich glaub, ich nenn ihn Arnold) in der Hollywoodschaukel parke. Kaum sitze ich da, erscheint ein nicht ganz so muskulöses Katertier an der Gittertür und beginnt zu plärren. Ich stehe nochmal auf und lasse das Tier auf den Balkon, wo es eine Weile umher stolziert und seinen neidischen Kumpels im Provisorischen herablassende Chefkaterblicke zuwirft. Dann hopst es neben mir in die Schaukel, ruckelt sich auf dem Kissen zurecht und tatzt nach meinem Eis. Ich weise darauf hin, dass sich der Konsum von Speiseeis ausgesprochen kontraproduktiv auf Figur und Konstituition des Tatzelnden auswirken würde und er deshalb keines bekommt. (Ich bin zwischenzeitlich in Beinbekleidung mit Gummibund geschlüpft.)
Ich widme mich wieder meinem Eis und meiner Lektüre und schaukele, damit das Nervtier einschläft. Es klappt auch brav die Ohren an und lässt die Lider niedersinken. Als sie schon fast unten sind, geht mit einem Mal ein Ruck durchs Tier, die Ohren stellen sich auf, und die Augen werden groß. Dann platschen sechs Kilo Bauchspeck aus der Schaukel und watscheln Richtung Mauer. Ich lege mein Buch wieder beiseite. Was mögen die Adleraugen des kleinen Lieblings erspäht haben? Eine Maus? Einen Vogel? Eine Eidechse?
Nichts dergleichen, auf der Mauer, auf der Lauer liegt ‘ne ziemlich große Wanze. Ich bin sehr beeindruckt. Sie ist etwa dreimal so groß wie eine Grüne Stinkwanze und scheint eine ganz ähnliche Wirkung zu haben. Nachdem Flori mit der Pfote draufgehauen hat und sich mit der Nase vom Tod der Beute überzeugen will, weicht er jedenfalls angewidert prustend zurück. Die Wanze setzt ihren Weg fort. Flori überlegt kurz. Die anderen sitzen im Provisorischen und gucken schadenfroh. Das kann Flori nicht auf sich sitzen lassen. Todesmutig macht er sich an die Verfolgung der Wanze.
Die Wanze verlässt die Mauer und krabbelt in Richtung Hollywoodschaukel, Flori dicht auf den Fersen. In Höhe des Provisorischen geht der Chefkater ein zweites Mal zum Angriff über und haut auf die Wanze. Die Wanze krabbelt unbeeindruckt weiter. Aus dem Publikum kommen die ersten Buh-Rufe. Flori versucht es mit einem tödlichen Sprung, verfehlt aber sein Ziel und erntet Gelächter und hämische Bemerkungen.
Nun ist sein Ehrgeiz angestachelt, immerhin steht seine Autorität auf dem Spiel! Flori konzentriert sich, fixiert die Wanze, trappelt auf der Stelle und führt dann seinen berühmten mörderischen Killerkrallen-Todeshieb aus. Die Wanze stinkt und krabbelt weiter. Fritz und Henry überbieten einander mit Schmährufen. In seiner Frustration greift Flori auf die ultimative Strategie zurück, die eigentlich immer zum Erfolg führt: Er setzt sich auf den Hintern und beginnt lautstark zu brüllen.
Es funktioniert auch diesmal. Ich habe ein Einsehen mit der Not des armen Flori, hole die Blumenkelle, bugsiere die Wanze auf das Schaufelblatt und werfe sie vom Balkon. Flori beschnüffelt angewidert die Stelle, an der die Wanze gesessen und gestunken hat, und verzieht sich nach einem siegesgewissen Blick auf seine staunenden Mitkater wieder in die Schaukel.
Ein echter Chef weiß eben, wann er delegieren muss.
Das links im Bild ist nicht die dicke Wanze. Aber die Größe stimmt in etwa!