Brauchtum, das die Welt nicht braucht
Während in vielen Gegenden auf unserem wunderbaren Planeten Heimatvereine und Folkloregruppen einen durchaus ehrenwerten Kampf gegen den Untergang wertvoller Kulturgüter führen, gibt es doch leider auch eine Kehrseite der Medaille. Eine dunkle, eine verdammenswerte Kehrseite. Eine Kehrseite, deren verfinsterte Oberfläche Brauchtümer spiegelt, welche besser für immer im Morast des allgemeinen Vergessenwerdens versunken blieben.
Es ist Montag, der vierte Februar, eine Woche vor dem Höhepunkt der Karnevalssession im beschaulichen A. in Westfalen. Während sich unten auf den Straßen bereits die ersten Narren und Närrinnen für den kommenden Rosenmontag warmschunkeln, sitzt Bianka T. in ihrer eigentlich recht behaglich eingerichteten Wohnung und schaut mit Tränen in den Augen auf das sie umgebende Chaos.
„Ich wusste nicht, dass es so etwas gibt.“ flüstert T. mit bebender Stimme. Angstvoll starrt sie ihre Schranktüren an, hinter denen es dumpf rumpelt und poltert. „Ganz ehrlich, ich habe immer geglaubt, er sei ein ganz normaler Kater.“
Die Rede ist von Fritz. Und tatsächlich erscheint Fritz auf den ersten Blick ein Kater zu sein wie tausend andere auch. Ein unauffälliger Grautiger, einer, der mit seinen weißen Pfötchen und den großen grünen Augen einen bescheidenen und freundlichen Eindruck macht.
Doch dieser Eindruck täuscht. Denn hinter der fröhlichen Maske mit der unschuldigen rosa Nase verbirgt sich ein Monster, ein Ungeheuer aus archaischer Zeit, eine Ausgeburt der Hölle – Fritz ist einer der letzten Überlebenden aus der grauenhaften Dynastie der Faschingskater!
„Ich habe ihn ja am zehnten November aus dem Tierheim geholt.“ berichtet Bianka T. mit verängstigter Stimme. „Da war er auch noch ganz normal. Also so normal, wie Kater eben sein können.“ Irgendwo in der Wohnung scheppert etwas, und die Katzenhalterin fährt zusammen. „Er war ja auch am Anfang ganz lieb, hat viel geschlafen und nur selten was geklaut oder kaputt gemacht. Aber so vor zwei Wochen – da fing es an. Also dass er komisch wurde. Und die anderen eben auch. Der Flori und die Lilly, ich hab ja insgesamt drei von denen. Auf einmal haben die gar nichts mehr angestellt und waren den ganzen Tag lieb. Da habe ich mir Sorgen gemacht. Ich hab das auch in so einem Katzenforum gepostet, und da waren auch alle ganz erschrocken, dass die eine ganze Woche gar nichts angestellt haben, und haben sich auch total Sorgen gemacht, weil das ja nicht normal ist für Katzen.“
Bianka T.s Stimme bricht, sie muss sich sammeln. „Aber dann … dann kam der vierte Februar. Ich wusste das doch nicht, dass eine Woche vor Rosenmontag der Katzenfasching anfängt! Als ich abends nach Hause kam, da lag die Mülltonne umgekippt in der Küche, und der Fritz lief drum herum, und da hab ich noch gedacht, jetzt wird alles wieder normal. Aber dann … dann ging das nachts los mit dem Katzenfasching, und seitdem …“
Bianka T. verliert endgültig die Fassung. Von Schluchzen geschüttelt berichtet sie von grölenden und marodierenden Katern, die nachts die Wohnung verwüsten, von Knäckebroten, die nach gezielten Pfotenhieben auf den Frühstückstisch Saltos schlagen und mit der Frischkäseseite nach unten auf dem Boden liegen, und von Pausenbroten, die unter Hurrageschrei verschleppt und brutal gegen die Rückeroberung durch die rechtmäßige Besitzerin verteidigt werden.
„Meine Winterstiefel haben sie vor die Tür geschoben und unter die Katzenklappe geklemmt, sodass die immer offen steht und es dauernd zieht.“ erzählt sie, nachdem sie sich ein wenig gefangen hat. „Und überall sind sie drin. Mach ich den Kleiderschrank auf – Katze drin. Mach ich den Kühlschrank auf – Katze drin. Mach ich den Klodeckel auf …“
Schockiert gebietet in diesem Moment selbst unser hartgesottener Reporter der Schilderung Einhalt. Tagtäglich berichtet unser Blatt von menschlichen Schicksalen, und doch gibt es immer wieder Fälle, die uns unter die Haut gehen – wie der von Bianka T., die doch nur einem armen verstoßenen Kätzchen ein Heim geben wollte und nun unter der Diktatur eines Katzenfaschingsprinzen ihr unterdrücktes Dasein fristen muss!
Hoffen wir für Bianka T., dass auch der Katzenfasching einen Aschermittwoch kennt …