Nein, ihr Lieben, da bleibe ich hart (und bei Büchern bin ich weitaus konsequenter als bei Katzen): Irgendwann fangen Geschichten an, sich zu wiederholen, man macht vielleicht noch ein drittes, schlechtes Buch und fängt dann mit "Best of"s an ...
😀 Das wollen wir uns doch lieber ersparen! Ich staune ohnehin jeden Sonntag über den Zuspruch hier, ich habe den Eindruck, ich wiederhole mich schon dauernd ...
Aber wie wär's stattdessen damit:
Einer der größten Nachteile eines Einzelhandelsjobs ist die Weihnachtszeit und die damit einher gehende Dauerbedudelung mit den jahreszeitlichen Klassikern der Popkultur. Schon vor meiner Verkäuferinnenzeit kehrte ich einst bei H&M ein und kaufte einen Pullover, den ich eigentlich gar nicht haben wollte, weil dort versehentlich Rammsteins „Engel“ den Weg in die Stimmungs-Playlist gefunden hatte. Später, in den elf Jahren meiner Einzelhandelszeit, bin ich alljährlich durch die Audiohölle gegangen. Manchmal hat es bis Ostern gedauert, bis „Last Christmas“, „Driving home for Christmas“ und „Do they know it`s Christmas“ langsam in meinem Gedächtnis verhallten.
Doch nun, in meiner dritten Vorweihnachtszeit außerhalb der Zwangsberieselung durch den Lokalfunk, beginne ich das Trauma allmählich zu überwinden. Ich kann schon wieder Kaufhäuser aufsuchen, ohne beim ersten Glöckchenbimmeln schreiend raus zu rennen. Vielleicht empfinde ich noch ein leichtes Unbehagen beim Anblick des designierten US-amerikanischen Präsidenten, aber das kann auch andere Gründe haben als den frisurentechnischen Einfluss von George Michael.
Wir sollten wieder gemeinsam mehr Adventslieder singen, mahnt uns unsere Landesmutter. Warum genau, das weiß ich jetzt auch nicht, aber ich ziehe es trotzdem in Erwägung, meinen Bürgerpflichten getreulich nachzukommen und meine Umwelt mit einer wunderschönen Weihnachts-CD zu beglücken.
Allmorgendlich, wenn ich die Zeitung herein hole, bleibt die Wohnungstür offen, damit die Katzen ihren Horizont erweitern können. Fritz‘ und Henrys Horizont reicht mittlerweile bis in den Waschkeller, wo sie eine bewegungsmeldergesteuerte Lichtkunst-Performance aufführen. Vor allem Fritz ist von seiner schöpferischen Kraft immens beeindruckt und kommentiert seine leuchtenden Installationen mit freudigen Rufen, die in der großartigen Akustik des Waschkellers eine enorme Klangfülle entfalten.
Während Fritz unten seinen Heldentenor erklingen lässt und Henry ab und zu ein „Hi-Ha“ im Falsett beisteuert, sitzt Flori an der Treppe und schaut verzweifelt den entschwundenen Kollegen hinterher. Die sind einfach ohne ihn da runter gegangen! Die Treppe ist Flori unheimlich, da traut er sich nicht drauf. Stufe für Stufe geht es da hinab, wer weiß, in welchen Abgrund ihn das führen würde! Und die Schutzbefohlenen sind da unten! Ohne ihn, ihren Chefkater! Was, wenn sie nie mehr wieder kommen?
Als ich mit der Zeitung herein komme, mischt sich von oben das erste klagende „Määääuuuuuhhhh“ in das Kellerduett. „Miiiaaaahuuuuuu!“ schmettert Fritz. „Hi.“ gibt Henry seinen Senf dazu. Ich beschleunige meinen Schritt, was angesichts meiner eher komfortablen Fußbekleidung eine gewisse sportliche Herausforderung darstellt. „UUUUUUÄÄÄÄÄÄÄÄÄHHH!!!“ schallt es dissonant von oben. „Maaauuuhha?“ überbrückt Fritz spielerisch eine ganze Oktave. „Brüppp!“ macht Henry fröhlich. Ich stolpere die Treppe hinauf, wobei ich vollkommen irrational „Pssscht, Pssscht“ mache. Flori holt tief Luft und stößt ein markerschütterndes „WÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄHHHHH!!!!!!!“ aus, weithin getragen von der auch nicht zu verachtenden Treppenhaus-Akustik und seinem beeindruckenden Resonanzkörper. Ich bleibe mit meinen voluminösen Schaumstoff-Schlappen an einer Treppenstufe hängen, rudere mit den Armen und lasse die Zeitung entgleiten, die mit einem satten Klatschen auf dem Fußboden vor der Nachbarwohnung niedergeht. „Miep?“ fragt es von drinnen, während gleichzeitig ein rhythmisches Scharren an der Tür einsetzt. „BRRUUUUUUUUHHHÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ!!!!!!!!!!“ übertönt Flori voller Inbrunst das hallende „KLLLONNGGG“, das das Treppengeländer immer macht, wenn man sich ruckartig an ihm festklammert, weil man mit seinen Schlappen an einer Stufe hängengeblieben ist.
Ich mache kehrt und renne in den Keller, wo ich mit viel „Sssch-Ssssch“ die entfleuchten Meistersänger vor mir her treibe. Oben verleiht Flori seinem nahenden Nervenzusammenbruch stimmlich Ausdruck, hinter der Nachbartür miept und scharrt es, Henry rutscht auf dem glatten PVC aus und landet mit Gepolter in der Flurgarderobe, und Fritz will eigentlich noch gar nicht rein und sagt das auch.
Nachmittags verleihen die Nachbarn ihrer Bewunderung für die Stimmgewalt meiner Lieblinge in warmen Worten Ausdruck. Und da kommt mir dann die Idee mit der Weihnachts-CD.
Das wird bestimmt ein Klassiker. Und viel schöner als das Geseiere von George Michael.
Chorleiter mit Treppenphobie