Unter großer Anteilnahme internationaler Medien wurde unlängst eine jener Fragen am Europäischen Gerichtshof entschieden, welche als wegweisend für unser aller Zusammenleben auf dem gemeinsamen Kontinent, ja als schicksalsträchtig für die gemeinsame Zukunft gelten können. Eine Frage, die uns EU-Bürger lange umtrieb, die uns nachts nicht in den Schlaf finden ließ, die wie eine ewige Wolke ihren Schatten auf das europäische Haus warf – endlich, endlich ist sie nun geklärt: Dürfen vegetarische Ersatzprodukte „Milch“ oder „Butter“ heißen? Das hohe Gericht hat uns nun von der drückenden Last dieser untragbaren Ungewissheit befreit und entschieden: Nein, dürfen sie nicht. Was nicht aus dem Euter kommt, ist auch keine Milch, geschweige denn ein Milchprodukt. Wo kommen wir, wo kommt der unkundige Verbraucher denn da hin.
Doof jetzt nicht nur für die ganzen Veggie-Boom-Firmen, sondern auch für die armen Drogerieverkäuferinnen, die vermutlich umgehend die Sortimente um Fußbutter und Sonnenmilch bereinigen müssen. Ich persönlich bin mir auch nicht so sicher, ob ich so voll und ganz hinter der Entscheidung stehen soll. Man sollte da, finde ich, als EuGH-Richter nicht päpstlicher sein als der Papst und auch mal an die Kühe denken.
Neulich, es war kurz vor der EuGH-Entscheidung, da stand ich im Supermarkt vor dem Kühlregal mit den Veggie-Produkten. Veggie-Produkte haben nämlich schon im Supermarkt eigene Kühlregale. Soweit ist es schon gekommen. Ich hielt ein Veggie-Produkt mit der Aufschrift „Veggie-Fleischwurst“ in der Hand und dachte, na ja, also Veggie-Fleischwurst, das muss ja jetzt wohl auch nicht sein. Aber dann dachte ich, egal, wenn’s schmeckt, und schmiss es frohgemut in den Einkaufswagen.
Tatsächlich, fand ich, schmeckte es. Was mich in meiner Vermutung bestärkte, dass der an industrielle Nahrungsmittel gewöhnte Westeuropäer eigentlich gar keine armen Kühe essen muss. Die Nahrungsmittelindustrie ist in der Lage, mit einem Haufen Geschmacksverstärkern und synthetischer Aromen aus jeder beliebigen in Form gepressten Pampe etwas Schmackhaftes zu zaubern. Das ist doch sehr fortschrittlich, vor allem für unsere muhenden Mitgeschöpfe. Gesund vielleicht nicht, also jetzt für uns Westeuropäer. Aber fortschrittlich.
So sitze ich am Mittwochabend nach Arbeitstag und Hausputz müde auf der Couch, vor mir ein Brettchen mit Brot, dicken Veggie-Formprodukt-Scheiben und einem kühlen, alkoholfreien Weizenbier und mache den Fernseher an. Die Erkennungsmelodie meiner Serie erklingt. Leider gibt es kein Bild. Ich drücke eine Weile auf den Fernbedienungen von Fernseher und Receiver herum, doch der Bildschirm bleibt schwarz.
Bestimmt ist die Schüssel kaputt, denke ich und wandere über den Flur zur Nachbarin. Nein, sagt die Nachbarin, die Schüssel sei nicht kaputt, sie habe ein Bild. Ton habe sie vermutlich auch. Hört man nur grad nicht, weil das kleine Nachbar-Alien Blähungen hat, wovon es die ganze Welt in Kenntnis setzen möchte. Ich kraule kurz noch die Prinzessinnen-Ohren und flüchte vor dem grenzenlosen Jammer des armen gebeutelten Blähbäuchleins zurück zu meinem dunklen Bildschirm. Die Nachbarin ruft mir noch hinterher, ob ich mal geguckt hätte, ob auch alle Stecker fest sitzen.
Jetzt, wo sie das ruft, fällt mir wieder ein, dass ich beim Putzen das TV-Regal mit dem Receiver von der Wand gerückt hat. Rasch eile ich meiner schwer verkabelten Technik entgegen und gucke den Receiver an. Stöpsele das rausgezogene Kabel wieder ein und da, hurra! Ein Bild!
Freudig strebe ich dem Sofa zu, werde aber auf halber Strecke auf dem Weg zum wohl verdienten Abendbrot gebremst. Auf dem Teppich hocken drei Kater im Kreis um meine Veggie-Fleischwurst und knurren sich an. Ich bin fassungslos. Das, schreie ich, sei meine Veggie-Fleischwurst und für Katzen überhaupt nicht geeignet, weil da gar kein Fleisch drin sei. Fritz guckt mich an und sagt, ihm doch egal, schmeckt aber. Dann sagt er zu den anderen, was er geklaut habe, fräße er alleine, schnappt sich das geschmacksverstärkte Pressprodukt und verschwindet unterm Sofa.
Und darum sage ich dem EuGH: Falsche Entscheidung. Man kann ruhig alles Butter, Milch und Fleisch nennen, was industriell erzeugt wurde. Den Unterschied merkt nicht mal ein gestandener Kater und auch sonst keine Sau.
Geschmack ist alles