Wenn man so darüber nachdenkt, an einem trüben Herbsttag beispielsweise, dann gleichen das männliche und das weibliche Prinzip irgendwie den Wechselobjektiven analoger Kameras. Das lange Teleobjektiv fokussiert nur einen Ausschnitt, den es überdimensional zu vergrößern vermag. Das unscheinbare kleine Weitwinkelobjektiv hingegen erfasst einen viel größeren Blickwinkel mit all seinen Details und Facetten.
Genauso verhält es sich mit der Funktionsweise männlicher und weiblicher Gehirne. Ein Katergehirn beispielsweise registriert nur: No Bömmels – no fun. Ein recht selektiver Blick auf das große weite Themenfeld „Die Fortpflanzung und ihre Vor- und Nachteile.“ Das Katzengehirn hingegen erhellt, ähnlich dem Weitwinkelobjektiv mit seiner kürzeren Brennweite, einen weit größeren Bildausschnitt derselben Thematik. Dem Katzengehirn bleibt auch gar nichts anderes übrig, denn nachdem der Kater seinen Fokus nach erfolgtem Akt bereits auf die nächste Dame richtet und leichtfertig davon stiefelt, hat die Katze den ganzen Salat mit der Mutterschaft. Eine Wurfhöhle muss gebaut, eine Schwangerschaft ertragen werden, und dann hat man noch die ganze Arbeit mit der Aufzucht, während der Kerl durch die Gegend zieht und sein Erbgut weiter gibt.
Und während Fritz weiterhin sein Los betrauert, ist Lillys Blick auf die Realitäten des Lebens von weit mehr Pragmatismus geprägt. Die Kinderaufzucht ist kein Ponyschlecken! Selbst ein Adoptivkind fordert der verantwortungsbewussten Mutter ein hohes Maß an Disziplin und Opferbereitschaft ab – Dinge, die Kater mit ihren Teleobjektiv-Hirnen gar nicht auf dem Schirm haben!
Zum Beispiel wird der arme Flori dank der Saumseligkeit des Personals nie richtig satt. Lilly muss ihm immer noch was von ihrem Essen abgeben, aber selbst das reicht nicht aus, weil ja generell immer viel zu wenig auf den Tellern ist. Um das dicke Kind anständig zu ernähren, ist Lilly gezwungen, allabendlich in der herbstlichen Kälte auf dem Balkon auszuharren und auf Beute zu lauern. Frierend und einsam hockt sie in ihrem selbst gebauten Nest unter der Bank und wartet geduldig, bis eine Motte in Reichweite ist. Die wird dann geschickt bewusstlos geschlagen und unter aufgeregtem „Mmmmpp Mmmmpp“ ins warme Wohnzimmer getragen. (Mit vollem Mund spricht es sich sehr schlecht.) Dann muss sich der gesamte Hausstand um Lilly scharen und Beifall klatschen, und Flori darf zum Schluss die Motte aufessen.
Das absolute Highlight in Lillys Mutterlaufbahn war die Erbeutung ihrer ersten Maus in der vergangenen Woche. Nach beinahe vierzehn Jahren Wohnungshaltung und ganz ohne Gebiss die erste Maus! Lilly war total von sich begeistert und brachte aufgeregt quietschend ihre Beute ins Wohnzimmer, wo sie sie stolzgeschwellt auf dem Teppich nieder legte. Das Personal lag gerade mal wieder nutzlos auf dem Sofa herum und kommentierte die Heldentat mit einem gelangweilten: „Hast du wieder eine Motte gefangen?“
Motte! Pfff! Guck doch mal richtig hin, du unfähige Transuse!
Das Personal guckte richtig hin, aber anstatt in Begeisterungsstürme auszubrechen, fing es hysterisch an zu kreischen, Lilly solle gefälligst sofort die Maus wieder raus bringen, es würden keine Mäuse auf dem Teppich gefressen, und überhaupt wünsche es nicht, dass Mäuse gefangen und ins Haus gebracht würden!
Äußerst indigniert nahm Lilly die Maus wieder an sich und verschwand auf den Balkon. Immer wieder bewahrheitete sich doch die alte Floskel, wie schwer es heutzutage sei, gutes Personal zu finden. Keine Mäuse fangen, also wirklich. Sind wir hier bei Goldfischs?
Das Personal sprang unterdes vom Sofa, warf Flori auf den Balkon, der neugierig des Weges kam, und verriegelte die Katzenklappe. So eine Unverschämtheit! Man sollte wirklich mal über eine Abmahnung nachdenken.
Vorerst jedoch herrschte Partystimmung auf dem Balkon, zumindest bei Flori, dem die Maus liebevoll kredenzt wurde. Eine Spielmaus! Toll! Und die riecht sogar nach Maus! Glücklich schleuderte Flori die Maus durch die Lüfte, fing sie wieder auf, rollte sie auf dem Boden herum und war gar nicht mehr zu beruhigen. Das Personal auch nicht. Dem Personal war eingefallen, dass Flori seinen Spielmäusen immer den Schwanz und die Ohren abreißt, und nun war dem Personal ein wenig übel, und es kam zu dem Schluss, dass die Maus in der Mülltonne besser aufgehoben sei als in Floris Pfoten.
Zu Lillys nicht enden wollender Entrüstung trampelte das Personal auf den Balkon, entwand dem armen hungrigen Kind nach minutenlangem Kampf seine Maus und verschwand, die Beute auf einem Kehrblech vorsichtig balancierend, in Richtung Mülltonne. Diese dumme Trine! Erst die Teller nicht richtig voll machen und dann auch noch den Nachtisch klauen! Unfassbar!
Einzig in Fritzens Augen fand das Eingreifen des Personals ein wenig Beifall. Fritz hatte die ganze Zeit über auf dem Tisch gesessen und sich entsetzlich gefürchtet. Immerhin ist so eine Maus ja noch viel größer als eine Fliege oder eine Zwerggarnele, und wer weiß, ob die sich nicht nur tot gestellt hatte …