Der Herbst hat Einzug gehalten. Um das frisch in Styropor verpackte Haus heult der Wind, der Himmel ist grau und die Blätter fallen. Immer öfter muss die Balkontür zu bleiben, die Stimmung ist gedrückt. Traurig drücken sich drei kleine rosa Nasen ans Fenster, wehmütige Blicke verfolgen den wilden Tanz der bunten Blätter dort draußen. Na ja, denken drei Erbsenhirne, was soll’s, machen wir das Beste draus. Machen wir einfach das, was wir jeden Herbst machen. Kuscheln wir uns auf unsere Kissen und verpennen wir den Tag.
Und erzählen uns Geschichten. Wohlig-gruselige Geschichten von der großen bösen Welt dort draußen. Dann ist’s herinnen noch mal so schön.
Fritz kennt die große böse Welt dort draußen am besten, weil er am längsten in ihr herum gestolpert ist. Schauerliches weiß er zu berichten. Von schlimmen Menschen, die arme Katzen davon jagen, weil sie ihre Gemüsebeete düngen wollten. Von brummenden Autos und brüllenden Hunden. Und von unheimlichen Zwergen. Die unheimlichen Zwerge verfolgen hilflose Katzen, ziehen sie an den Schwänzen und pulen in ihren Ohren rum. Lilly und Flori sind immer ganz gebannt, wenn Fritz von den unheimlichen Zwergen erzählt. Gut, dass es die nur da draußen in der großen bösen Welt gibt, denkt Flori dann erleichtert und legt sich wohlig schaudernd auf sein Lieblingskissen. Hier kommen die nicht rein, die unheimlichen Zwerge.
Flori sitzt grade auf dem Kissen, das das Personal für die Katzen vor die Balkontür gelegt hat, und guckt, was draußen so los ist, als mit einem Mal das Telefon klingelt und das Personal daraufhin aus der Wohnung stolpert. Das bedeutet meist nichts Gutes. Die Türklingel geht derzeit nicht, weil die Leitung wegen der never ending Renovierung gekappt ist, und wenn das Telefon klingelt und das Personal stolpert raus, dann kommt es meistens mit Besuch wieder.
Lilly und Fritz horchen gebannt, während Flori mäßig interessiert ist und weiter aus dem Fenster guckt. Im Hausflur trampelt es. Fritz spitzt die Ohren. Ein Besuch trampelt leiser als die anderen. Fritz ist starr vor Entsetzen. Ein Zwerg, schreit Fritz, da kommt einer, da kommt ein unheimlicher Zwerg! Der kommt hier rein!!!
Lilly und Fritz verstecken sich rasch, nur Flori hat den Zwergenalarm nicht mitbekommen und guckt weiter aus dem Fenster. Der Zwerg kommt durch den Flur gestampft und steuert sogleich mit dem begeisterten Ausruf „Da! Katze!“ auf Flori zu. Flori merkt das aber erst, als der Zwerg neben ihm aufs Kissen plumpst und ihm einen Finger ins Ohr steckt, wobei er freudig „Katze!“ kräht.
Flori ist außer sich vor Schreck. Huch, ein Zwerg! Wie ist der hier rein gekommen? Der Zwerg brabbelt unterdessen „Katze“ und irgendwas in Zwergensprache, was außer ihm keiner versteht. Flori bringt sich mit einem Satz in Sicherheit und beobachtet den Zwerg aus sicherer Entfernung. Der Zwerg steht auf und wackelt energisch hinter Flori her. Flori dreht sich um und rennt. Schnell, unter den Küchentisch! Unter dem Küchentisch ist er in Sicherheit, da kommt das Personal auch nicht hin, wenn Flori der Aufforderung zum Ohrensaubermachen keine Folge leistet.
Der Zwerg macht sich auf in Richtung Küchentisch und findet unterwegs die herunter gefallene Kleiderbürste, mit der das Personal immer das Sofa enthaart. „Bürste!“ ruft der Zwerg begeistert und nimmt Flori unter dem Küchentisch ins Visier. „Katze bürsten!“ Von wegen, denkt Flori, hau bloß ab, ich bleib hier sitzen, ich komm nicht raus. Macht nix, denkt der Zwerg, ich bin ein Zwerg, ich komm zu dir. Wenn sich Zwerge auf alle Viere nieder lassen, passen sie prima unter Küchentische. Flori ist fassungslos. „Katze bürsten.“ sagt der Zwerg energisch und will Flori übers Fell striegeln. Flori schießt unter dem Küchentisch hervor und wirft dem Personal verzweifelte Blicke zu. Tu endlich was! Tu den Zwerg weg!!!
Zum Glück weiß das Personal Zauberworte, die das Interesse bürstenbewaffneter Zwerge umgehend von verstörten Katzen ablenken. In diesem Fall heißt das Zauberwort „Bagger.“ Als der Zwerg das Zauberwort hört, lässt er umgehend die Bürste fallen und hat strubbelige Floris vergessen. Enthusiastisch „Bagger! Bagger“ rufend stiefelt der Zwerg in Richtung Flur, den restlichen Besuch und das Personal im Schlepptau. Zutiefst erleichtert hören die Katzen, wie die Wohnungstür hinter ihnen zufällt und die Zwergenschritte die Treppe hinunter tapsen.
Draußen heult der Wind, die Blätter wirbeln und der Himmel wölbt sich düster über der frierenden Erde. Drinnen sitzen drei Katzen auf dem Kissen am Balkonfenster und sehen zu, wie der Besuch und das Personal auf der Baustelle herum stehen und den Zwerg beaufsichtigen, der den Bagger umkreist und aufgeregte Zwergengeräusche macht.
Guck dir den an, sagt Flori, Bagger bürsten. Zwerge sind doch wunderliche Wesen.
Zwergenwachtposten