Für die Romantiker
Ich verreise nicht gerne. Woanders ist immer alles ganz anders als zu Hause, und man muss alles Mögliche in Taschen und Koffer packen, um sich halbwegs wohl zu fühlen. Das ist sehr umständlich, finde ich. Besser ist es doch, man bleibt gleich da, wo man weiß, wo alles steht, was man so braucht. Warum so viele Menschen das anders sehen, habe ich nie so ganz verstanden.
Aber weil wir in einer Demokratie leben, mache ich auch manchmal das, was alle machen. Zum Beispiel bin ich im Juni verreist. Eine ganze Nacht lang. Nach Frankfurt. Ein Kollege von der Satire-Seite hielt es für eine gute Idee, wenn ich bei einer Veranstaltung was vorläse, und ausnahmsweise schloss ich mich dieser Idee an, weil mir der Gedanke, in einem Hotelzimmer mit eigenem, funktionierenden Badezimmer zu nächtigen, mit einem Mal ungewohnt verführerisch erschien.
Das Bad war dann auch entgegen meiner bisherigen Erfahrung mit dem Reisen gar nicht so anders als zu Hause. Zwar war es nicht kaputt gehauen, und es gab eine Dusche, ein Waschbecken und ein Klo, aber es roch ziemlich schlimm und war genauso staubig wie daheim. Ich fühlte mich gleich heimisch. In der Gardine im Schlafgemach war sogar ein riesiges Loch. Offenbar ein Homelike-Service für Gäste, die ihre Katzen vermissen.
Die Katzen wurden derweil von der Nachbarin versorgt, was mir große Sorgen bereitete. Im Gegensatz zu Chili und Tapsy, die ihrer Ernährung erstaunlich wenig Beachtung zumessen und sehr problemlos zu sitten sind, zelebrieren meine drei die zweimal tägliche Fütterung mit beinahe schon religiöser Inbrunst, enormer Geräuschentwicklung und viel Zerren und Zupfen am Dosenöffner. Hoffentlich war die arme Nachbarin dem gewachsen.
Mit eiserner Willenskraft gelang es mir, den ganzen Abend lang nicht anzurufen, um zu fragen, ob es den drei Lieblingen gut ginge und die Fütterung ohne nennenswerte Schäden am Catsitter abgelaufen sei. Ich las meinen Text vor, kriegte schlimmes Kopfweh und stierte den Rest des Abends trübe in mein Wasserglas, während die Kollegen sich mit Äbbelwoi zuliterten. Mit einem umweltfreundlichen kleinen Gastaxi, das an sich an jeder Kreuzung schüttelte und dann ausging, was den Fahrer sehr in Harnisch brachte, fuhr ich durchs nächtliche Frankfurt zurück in meine Nobelherberge, wo mir die Leuchtreklame in dezentem Rot entgegen strahlte. Direkt unter meinem Fenster. Ich schlief nicht viel und brach früh auf, um schnell wieder zu meinen Lieblingen und meinem eigenen Abflussduft zu gelangen.
Zu Hause war denn auch alles so, wie ich es vermutet hatte. Ich wurde mit entsetzlichem Geschrei empfangen, und ein Zettel an der Tür informierte mich, dass alle drei am Morgen das Frühstück verweigert hätten. Außerdem sei Lilly mit dem Leihpersonal alles andere als einverstanden gewesen und habe es unablässig angefaucht und angeknurrt.
Fritz hingegen, so der Bericht der Nachbarin beim Flurtratsch später am Tag, sei ungeheuer anhänglich gewesen und habe sich unablässig an sie gekuschelt. Ich nickte nachsichtig zu dieser unglaubwürdigen Schilderung. Der Fritz, na klar. Sie wird’s nie lernen. Dauernd verwechselt sie Fritz und Flori, sie kann sich das einfach nicht merken. Zugegeben, die sehen sich ja auch ziemlich ähnlich. Haben beide vier Beine, zwei Ohren und Schnurrhaare. Da muss ich auch immer ganz genau hingucken, wer wer ist. Meistens ist Fritz aber der auf dem Schrank und Flori der, der mit fremden Frauen kuschelt.
Tage später. Es ist warm, ich sitze auf dem Balkon, Lilly und Flori fläzen sich im Provisorischen. Fritz liegt auf dem Schrank, weil eine Taube vorbei geflogen ist. Die Nachbarin kommt auch auf den Balkon und gießt die Blumen. Der Balkon ist derzeit so eine Art Gemeinschaftsbalkon, weil wir noch immer keine Trennwand haben. Die sollte im Mai kommen. Aber es ist ja auch erst Juli. Wenn der erste Flieger am Berliner Flughafen Richtung Hamburg zur feierlichen Eröffnung der Elbphilharmonie startet, dann haben wir bestimmt auch eine Trennwand.
Im Schlafzimmer plumpst was vom Schrank, und Fritz kommt ins Provisorische getänzelt, baut sich am Gitter auf und schmachtet die Nachbarin an. Sie überwindet die Blumentöpfe, die die Grenze zwischen unseren Balkonbereichen markieren, und Fritz strahlt ihr freudig entgegen. Sonst läuft er immer weg, wenn jemand auf ihn zu kommt. Aber jetzt schnurrt er und reibt seinen offensichtlich verwirrten Kopf am Provisorischen. Auch die Nachbarin ist von Wiedersehensfreude ergriffen. Der Fritz, findet sie, ist ein Ausbund an Zuneigung und Aufgeschlossenheit. Wie er sich die ganze Zeit an ihr Bein geschmiegt hat. So ein lieber Kater.
Ich starre auf meine beiden Jungs. Vier Beine, zwei Ohren und Schnurrhaare. Jetzt, wo keiner auf dem Schrank liegt, bin ich mir doch nicht mehr so sicher, dass ich sie auseinander halten kann.
Ich sehe sehr schwere Zeiten auf den Nachbarn zukommen.
Brad Clooney - wer könnte seinem Charme widerstehen?