Die rote Blockflöte - Eine Lilly-Weihnachtsgeschichte
@alle: Ich danke dem Himmel, dass World's best Mom nach wie vor mit dem Internet auf Kriegsfuß steht. Sie ruft mich eh schon dauernd an, wenn im Fernsehen irgendsoein verlogener Bericht über Leute kommt, die ihre Katzen dressiert haben, und schreit dann aufgeregt in den Hörer, da siehst du, man kann Katzen nämlich WOHL erziehen!
Eine kleine Weihnachtsgeschichte passend zur Saison:
Vor fast zehn Jahren brachten eine Freundin und ich zur Weihnachtszeit eine beschauliche kleine Satirelesung auf die Kleinkunstbühne meiner schönen Heimatstadt. Wir lasen was vor, im Hintergrund turnte der Vater der Freundin als Blues-Brothers-Weihnachtsmann mit schwarzem Anzug, weißem Bart und Sonnenbrille herum, und zwischen den Texten spielten wir weihnachtliche Evergreens auf Blockflöte, Harmonika und Kazoo. Das Publikum musste dann versuchen, die Stücke zu erraten, die wir spielten, was nicht ganz so einfach war. Wer richtig lag, durfte ein Stück vom auf der Bühne stehenden Lebkuchen-Hexenhäuschen abbrechen. Wir fanden das ungeheuer lustig und bahnbrechend anarchisch. Leider war die Lokalpresse damals noch nicht reif für derart innovative Darbietungen. Unsere schöne Lesung wurde schrecklich verrissen. Vermutlich ist deswegen auch nie was aus uns geworden. Jedenfalls sind wir nie so berühmt geworden wie Mario Barth oder Atze Schröder. Schade eigentlich.
Vor allem die Musikdarbietung hat der Presse nicht gefallen, was wohl auch daran lag, dass ich überhaupt nicht Blockflöte spielen kann. Genau genommen kann ich gar kein Instrument spielen, weil ich vollkommen unmusikalisch bin. Die Blockflöte, ein besonders ansprechendes Exemplar aus transparentem roten Plastik, hatte ich auch erst am Tag vor der Aufführung gekauft. Am Morgen der Aufführung saß ich auf dem Bett und versuchte, mir selbst „Kling, Glöckchen, klingelingeling“ und „In dulci jubilo“ beizubringen. „Last Christmas“ auf dem Kazoo zu tröten kriegte ich gerade noch hin. Aber so eine Blockflöte mit den ganzen Löchern war doch komplizierter, als ich gedacht hatte.
Während ich so vor mich hin flötete, sagte es auf einmal „Meeeek“ an der Schlafzimmertür. Ich unterbrach mein Spiel und staunte. Seit Januar lebte diese merkwürdige kleine bunte Katze bei mir, die sich nicht anfassen ließ, bei jedem Türklingeln schlagartig unsichtbar wurde und ansonsten eifersüchtig am Kater klebte. Nun stand sie im Türrahmen, funkelte mich an und wedelte mit dem Schwanz.
Sie hatte Kontakt zu mir aufgenommen! Wie aufregend! Als ich sie an einem eiskalten Januarmorgen im Tierheim abgeholt hatte, war ich noch frohen Mutes gewesen, dass sie spätestens im Sommer schnurrend auf meinem Schoß sitzen würde. Davon war sie auch jetzt im Dezember noch weit entfernt. Sie ließ sich nicht mit Leckerchen locken, sie wollte nicht mit Angeln oder Flederwischen spielen, und überhaupt war sie ständig auf der Hut, dass ich ihr nur ja nicht zu nahe kam. Sie war eine härtere Nuss als jede Streunerkatze.
Aber nun näherte sie sich mir. Ich hob die Blockflöte und entlockte ihr weitere schiefe Töne. „Meeeeek!!“ sagte meine kleine bunte Katze und blieb direkt vor meinen Füßen sitzen. Ich spielte „Kuckuck ruft’s aus dem Wald.“ Das war zwar nicht weihnachtlich, aber dafür so einfach, dass ich es einigermaßen hin bekam. „Meeeeeeeeeek!!!“ sagte die Katze und wedelte. Ich dachte an den Rattenfänger von Hameln und flötete weiter. Die Flöte ist ein archaisches Instrument. Offenbar wohnte ihr eine Magie inne, der sich das Tier als solches nicht entziehen konnte. Und „Meeeek“ ist bestimmt so eine Art Applaus.
Die Katze sprang aufs Bett, stellte sich direkt vor mich und sah mir eindringlich ins Gesicht. „MEEEEEEEK!!!!“ Ich flötete wie besessen. Die Katze holte aus und schlug ordentlich zu. Die Flöte flog im hohen Bogen hinter den Wäschekorb. Die Katze stellte beide Vorderpfoten auf meine Oberschenkel, kreischte mir noch ein gellendes „MEEEEEEEEEEEEEK!!!!!!!!!“ ins Gesicht, sprang dann vom Bett und stampfte zurück ins Wohnzimmer, wo sie sich zum Kater ins Bettchen quetschte und zufrieden zusammen rollte.
Vor ein paar Tagen entdeckte ich sie in einem Kramfach im Schrank, meine rote Blockflöte. Wehmütig dachte ich an meine früh vollendete Flötistinnenkarriere und an meine kleine bunte Katze. Ich nahm die Blockflöte, setzte sie an die Lippen, hielt ein paar Löcher zu und flötete. Die Blockflöte gab einen schrägen hohen Ton von sich. Ich stutzte. Das klang ja wirklich grauenvoll. So schlimm hatte das nicht mal bei der Aufführung geklungen. Ich war mir ganz sicher, dass die Flöte damals zumindest mehr als einen Ton hervor gebracht hatte. Und das auch nicht ganz so schief.
Ich hielt alle Löcher zu und flötete nochmal. Die Blockflöte schrillte kläglich. Fritz kam angelaufen und machte ein gepeinigtes Gesicht. Ich hielt Löcher zu, ließ sie wieder los, schüttelte die Blockflöte: Nix zu machen. Sie gab nur noch diesen einen schrillen Ton von sich. Fritz sah erleichtert zu, wie ich das schreckliche Ding zurück in den Schrank legte und die Tür schloss.
Schon gut, Lilly, ich hab’s verstanden.
In meinem Haus wird NICHT Blockflöte gespielt! Auch nicht in meiner Abwesenheit!