So ganz hat sich der Sinn und Zweck der Lillyhaltung dem Fritz ja nie erschlossen. Die Lilly, so Fritzens unerschütterliche Meinung, war ein ganz schön komischer Kater. Hat sich beim Raufen nie an die Regeln gehalten, zum Beispiel. Anstatt sich mit Fritz auf dem Boden zu kugeln, so wie der Flori das macht, ist die immer vor ihm weggerannt, hat sich irgendwo versteckt und sich von dort aus dann hinterrücks auf Fritz gestürzt. Ein anständiger Kater macht sowas nicht! Und dann hat die auch irgendwie anders gerochen. Also hintenrum. Besonders, wenn es was zu essen gab, was Lilly gerne mochte. Dann hat sie dem Fritz schon mal eine Ladung Lillyduft ins Anlitz gewedelt. Da konnte einem ganz schwummerig von werden. So schwummerig, dass man mit glasigen Augen doof rumstand und vergaß, dass es was Leckeres zu essen gab.
Also, nicht dass Fritz jetzt alles schlecht gefunden hätte, was die Lilly so machte. Wenn Fritz sich zum Beispiel gerade liebevoll an Mamas Schienbein schmiegen wollte und auf den Fuß getreten wurde und seinen Schmerz und seine Enttäuschung laut hinaus schrie, dann kam die Lilly immer gleich angewatzt und hat der Mama eine geknallt und den armen Fritz beköpfelt. Sie hatte halt auch ihre guten Seiten.
Jetzt ist die Lilly jedenfalls weg. Wahrscheinlich hat die Mama sie verklüngelt. Die Mama verklüngelt dauernd was. Am liebsten ihre Brille. Den Satz „Hat einer meine Brille gesehen?“ können Fritz und Flori jedenfalls schon nicht mehr hören. (Okay, Flori sowieso nicht.) Andauernd ist die Brille weg. Und vor ein paar Wochen ist die Mama mit der Lilly im Körbchen weggefahren ohne die Lilly im Körbchen zurück gekommen. Jetzt steht nur noch ein Bild von Lilly auf Mamas Schreibtisch. Vermutlich, damit sie nicht vergisst, wie die Lilly aussieht, falls sie doch mal wieder vor der Tür steht.
Schlimm, sowas, denkt sich Fritz und schaut voller Sorge zu, wie die Mama schon wieder durch die Wohnung pusselt und Möbel rum schiebt. Bestimmt sucht sie wieder ihre Brille. Dann wird ein Eimer ran geschleppt und der Fußboden nass gemacht. Auch so eine alberne Marotte. Jede Woche wird der Fußboden nass gemacht. Wenn man dann im vollen Galopp durch die Küche rennt, kann man gar nicht bremsen und knallt volle Möhre vor den Geschirrspüler.
Draußen kracht es ab und zu, und dann zuckt Fritz zusammen und guckt sich ängstlich nach der Mama um. Die scheint nicht nur senil, sondern auch schwerhörig zu werden. Jedenfalls planscht sie weiter mit dem Wischmopp rum und regt sich drüber auf, dass Flori eine leere Katzenfutterdose unter dem Küchenschrank gebunkert hat. „Uh?“ sagt Fritz fragend und macht große Augen. „Es gibt jetzt nichts zu essen, guck mal auf die Uhr!“ kriegt er zur Antwort. Fritz macht sich große Sorgen. Danach hat er gar nicht gefragt. Die Mama sollte wirklich mal zum Ohrenarzt gehen.
Abends ist das Fußbodenbewässern endlich geschafft, man hat gegessen und noch ein bisschen was von Mamas Teller gemopst und geht nun zum gemütlichen Teil über. Flori poft in seinem Bettchen, und Fritz und Mama liegen auf dem Sofa. Mama regt sich auf, weil im Fernsehen nur Musikantenstadl und Jahresrückblicke kommen, und beanstandet die stiefmütterliche Behandlung von Sylvesterverweigerern durch die Unterhaltungsbranche. Nachdem sie noch ein bisschen mit dem armen DVD-Player rumgemeckert hat, steckt sie sich komischerweise rosa Stöpsel in die Ohren und geht schlafen. Flori geht mit.
Fritz legt sich auch dazu, wird aber durch immer häufigeres Knallen aufgeschreckt und geht in die Küche, um dort aus dem Fenster zu gucken. Schreck lass nach!!! Draußen am Nachthimmel steigen grelle Lichter auf! Und jetzt kommen lauter Menschen aus den Häusern, es kracht und zischt wie irre, und der ganze Himmel ist voll von diesen zuckenden hellen Lichtern! Wie entsetzlich! Die Apokalypse!
Hilfesuchend rennt Fritz zurück ins Schlafzimmer, wo Mama und Flori auf dem Rücken liegen und einträchtig schnarchen. „Uhuuuuu!!!“ schreit Fritz. Doch niemand hört ihn. Verängstigt läuft Fritz ins Wohnzimmer, kriecht unter das Sofa und schlottert vor Angst.
Jetzt erinnert er sich. Das mit dem Knallen und den Lichtern, das war schon letztes Jahr so. Und davor das Jahr auch. Eigentlich jedes Jahr. Aber da war er nicht allein unter dem Sofa. Da war die Lilly bei ihm. Gemeinsam haben sie sich auf den Boden gedrückt und gewartet, bis der Spuk vorbei war, während Mama und Flori geschlafen haben.
Jetzt, wo er allein da sitzt und schlottert, da vermisst er sie doch.
Flauschige, mit Leckerli bestochene Fellpopos wünschen ein frohes neues Jahr