Mittwoch, der 13. Januar 2016: Der große Tag ist gekommen! Nachmittags um 14:20 Uhr bin ich zur mündlichen Prüfung vor den IHK-Ausschuss geladen. Ich bin aufgeregt. Morgens um zehn habe ich zum Glück noch einen Termin bei der Versicherung wegen des armen angefahrenen Autos. Das lenkt vom Nägelkauen ab. Ich stehe früh auf, füttere die Katzen, frühstücke und versehe meine Präsentation zu dem spannenden Thema „Übergabe, Prüfung und Zahlung von Kreditorenrechnungen im Firmenverbund“ mit Notizen für den Vortrag. Mann, bin ich aufgeregt. Ich teile den Katzen mit, wie aufgeregt ich bin. Die Katzen gähnen und schleppen sich auf ihre Schlafplätze. Irgendwie kommt mir das Szenario bekannt vor.
Ich übe meinen Vortrag noch ein paarmal. Weil ich immer so leise spreche, deklamiere ich zunächst ein paar Gedichte, um die akzentuierte Aussprache zu üben. In Puschen und Jogginghose wandere ich in der Wohnung auf und ab und rezitiere Rilke und Shakespeare. Die Katzen gucken vergrätzt. Vor allem Fritz geht die akzentuierte Aussprache sichtlich auf den Wecker, schließlich ist jetzt Schlafenszeit, und er hat seinen Schönheitsschlaf bitter nötig. Seitdem die Zahnschmerzen weg sind, ist das Tier vor Lebensfreude kaum zu bremsen. Vor allem nachts nicht. Da ist es tagsüber rechtschaffen müde und braucht seine Ruhe.
Die Stimme ist geölt, die Brust geweitet. Ich gehe zum Vortrag meiner Facharbeit über und stelle dem staunenden Publikum zunächst den Praktikumsbetrieb vor, dessen Geschichte sich bis in die Frühzeit der Industrialisierung verfolgen lässt, man stelle sich das vor. Die Katzen sind mäßig interessiert. Ich erläutere die Unternehmensstruktur im Hinblick auf die Unterteilung in Profit Center und schwenke dann elegant zur Produktpalette über. Fritz meint, ich solle dann doch lieber nochmal Rilkes „Panther“ aufsagen. Ich lasse mich nicht aus dem Konzept bringen und widme mich den vorgelagerten Prozessen. Flori beginnt zu schnarchen. Jetzt bloß nicht irritieren lassen. Nahtlos leite ich zu den Kernprozessen über, gehe dann auf die nachgelagerten Prozesse ein und fasse schließlich die Ziele der Finanzbuchhaltung in einem fulminanten Finale zusammen. Fritz ist mittlerweile auch eingeschlafen und zuckt ab und zu mit den Füßen. Beleidigt packe ich meine Notizen zusammen und gehe mich umziehen und Zähne putzen. So schlecht fand ich mich gar nicht.
Als ich gerade los will, klingelt das Telefon. World’s Best Mom ist dran. Sie sei total erkältet, erklärt sie mir, und der Papa hätte Rücken, und ich müsste in den Getränkemarkt und für sie Wasser holen, weil, das sei diese Woche im Angebot. Ich schreie ins Telefon, dass ich jetzt Prüfung habe. Ach, jetzt, sagt WBM erstaunt, sie hätte gedacht, das sei heut morgen gewesen. Ob das denn wohl lange dauern würde, weil, das Wasser sei alle, und bei Erkältung soll man ja viel trinken.
Voller Zuversicht und gestärkt von dem liebevollen Rückhalt meiner Familie und meiner Haustiere breche ich zur Prüfung auf, akzentuiere mich ohne zu stocken durch meinen Vortrag und bestehe die Prüfung mit einer Zwei. Als frischgebackene Industriekauffrau fahre ich in den Getränkemarkt und anschließend nach Hause. Teile den Katzen mit, dass ich die Prüfung bestanden habe. Die Katzen teilen mir mit, dass ich ganz schön spät dran bin und sie jetzt Hunger haben.
Desillusioniert füttere ich meine Mitbewohner und rufe meine beste Freundin an, um ihr die frohe Botschaft zu übermitteln. Bei meiner besten Freundin ist besetzt. Ich könnte ihr eine SMS schicken. Andererseits ist es ja wohl eine Frechheit, am Prüfungstag der besten Freundin Telefonate mit irgendwelchen anderen Leuten zu führen. Ich mache mir Nudeln mit Knoblauch und Kirschtomaten und gieße mir zur Feier des Tages ein Glas Wein ein. Dann feiere ich mich eben selbst. Hat Rilke ja auch gemacht. Fritz sitzt neben mir und grabscht nach den Nudeln. Lass das sein, mahne ich ihn streng, denk an den armen Panther hinter den vielen vielen Stäben, der hat auch immer seiner Mama die Nudeln geklaut. Was für’n Panther, sagt Fritz, ich hab geschlafen.
Manchmal frage ich mich, ob in meinem Leben nicht doch irgendwas schief gelaufen ist. An manchen Tagen sind drei IHK-Prüfer die nettesten Personen, die mir begegnet sind.
Ereignisgesteuerte Prozessketten, heute: Katzenhaltung