Sehnsüchtiges Warten auf Zärtlichkeit
Von Irene Mohr
"Oh, wie süß!..." heißt es unentwegt und veranlasst unsere Besucher, gleich an der ersten Tür der vielen kleineren zimmer unseres Katzenhauses stehen zu bleiben. Und in der Tat! Die Kätzchen und Kater, die neugierig zu einem kleinen Bündel zusammengekauert hinter der Glastür sitzen und die Menschen davor keine sekunde aus den aufmerksamen, weit geöffneten Augen lassen sind bemerkenswert.
Ja sie sind eigentlich perfekt: Jung,gesund und wunderschön! Sie haben sogar die richtige Farbe! Silbergrau getigert,rot getigert,tricolor...entsprechen sie voll und ganz den gängigen Modeerscheinungen die uns durch die Katzenfutterwerbung vorgegeben werden und somit den Idealvorstellungen vieler unserer Besucher.
Wäre da nicht eine Kleinigkeit: Sobald die begeisterten Menschen ganz nahe an die Scheibe kommen oder sogar versuchen die Tür zu öffnen, entlädt sich die geballte aufmerksamkeit und gespanntheit der kleinen schönheiten blitzartig und sie flüchten in ihre höhlen und körbchen um aus diesem sicheren versteck nun ängstlich und doch zugleich wiederum neugierig zu beobachten ob diese großen zweibeiner doch tatsächlich näher kommen.
Die gerade noch verzückten und vor begeisterung "oh wie süß" rufenden menschen werden aufgrund dieses verhaltens meist ruhig gehen verstohlen weiter und lenken ihr interesse woandershin. Denn sie wollen schmusekätzchen. So bleiben die eigentlich perfekten,bildschönen kleinen stubentiger zurück und warten mit ihren großen augen...
Sie warten-zwar ängstlich und scheu- aber dennoch sehnsüchtig. Denn die Sehnsucht nach streicheleinheiten, nach nähe und zuwendung ist auch ihnen anzumerken. Sie können nichts dafür dass ihre Mütter ohne menschliche Fürsorge verwildert lebten und ausgehungert immer heimlich auf der suche nach futter und einem warmen unterschlupf ihren eigenen überlebenskampf führen mussten. Denn der Mensch wollte sie nicht und vertrieb sie. So lernten sie ihren jungen frühzeitig den Menschen Scheu und Vorsicht gegenüber zu bringen. Woher sollen sie plötzlich wissen, dass das was ihnen ihre mutter mit auf den weg gegeben hat nicht für alle Menschen zutrifft. Dass es Menschen ibt, die ihnen ein gutes futter und ein sicheres zuhause anbieten? Menschen die sie mit spielchen in verzückung bringen wollen? Ihnen vorsichtig übers Köpfchen und den Rücken streichlen wollen, bis sie leise schnurren? Nun warten sie sehnlichst, bis ein Mensch-mutiger als sie selbst- sich traut in die aufregende,spannende Beziehung Mensch/scheue Samtpfote einzugehen.
Mensch:trau dich! Der Tag wird kommen, an dem dein zurückhaltendes Kätzchen, vielleicht nach wochenlangem,ängstlichen beäugen aus sicherem versteck anfängt dich vorsichtig zu umkreisen. Die Kreise werden immer enger werden. Die Sehnsucht nach Zärtlichkeit,der Erforschungs-und Bestitzergreifungsdrang wird stärker sein als jedes Misstrauen. Der Tag wird kommen, an dem es schüchtern deine ersten Liebkosungen aufnehmen kann und dir leise um die Beine streicht. Du wirst an diesem Tag ein unbeschreibliches glücksgefühl erleben! Du wirst Schmetterlinge im Bauch haben und vor rührung weinen. Die Großen,neugierigen Augen deines "wildfangs" werden dich zu einer immerwährenden Katzenliebe auffordern. Du hast einen neuen Freund fürs Leben, der dich nie mehr verlassen will! Und du kannst stolz auf dich sein! Denn es ist dein Verdienst.
Du hast mit liebevoller Geduld auf diesen Tag gewartet.Auf diesen Tag, an dem deine Samtpfote bereit war, dich in Besitz zu nehmen.
Ach ja-die Farbe- war sie wirklich so wichtig??