Tag 64 – Mundraub, die zwanzigste
Moin!
…um eines der begehrten Exemplare zu ergattern.
Ich werde auch unter ihnen sein
Die gefühlte Tageshöchsttemperatur beträgt heute 49, oder 50 oder 51 und ein paar und dann noch einige.
Neues Reizwort, Corned Beef. Das gibt es bei uns hin und wieder zum Abendbrot. Ich liebe das Zeug auf frischem Brot mit reichlich Butter, vor allem, wenn es von unserem Metzger im Ort kommt, und nicht von der Wursttheke im Supermarkt. Dort schmeckt es halt nicht so gut und außerdem schneiden sie es so dünn, dass es auseinanderbröselt, bevor man eine Chance hat, es passgenau auf die Brotscheibe bugsiert zu bekommen.
Am Freitag nachmittags war meine Frau einkaufen und hat mir, da wir Samstag Besuch hatten und mittags groß gegessen haben, für ein leichtes Abendbrot, mit ihrem vorausschauenden Weitblick und um mir einen Gefallen zu tun, auch 4 Scheiben Corned Beef mitgebracht.
Mit der Zeit haben wir, leidgeprüft durch einige Komplett-Verluste an Lebensmitteln, was die Sicherung derselben angeht, dazu gelernt. Den Dieben darf einfach keinerlei Möglichkeit geboten werden, ihrem schändlichen Tun nachgehen zu können. Das haben wir mittlerweile auch echt gut `drauf, Mundraub kommt, seit wir einige Grundregeln beachten, so gut wie nicht mehr vor bei uns.
Einer der wichtigsten Eckpfeiler der erfolgreichen Verbrechensbekämpfung besteht in der Prävention. So stellen wir eine wirksame Vorsorge unter anderem auch dadurch dar, indem wir keine Lebensmittel offen herumstehen lassen, solange keiner von uns Zweibeinern zugegen ist. Kein Fleisch, keine Wurst, nichts Gekochtes. Ist jemand dabei, kann nichts passieren.
Der Gutmensch mit christlichem Hintergrund würde augenzwinkernd sagen: „…und führe mich nicht in Versuchung…“, wir hingegen wissen, dass es hier um knallharte Kriminalität geht, der unbedingt ein Riegel vorgeschoben werden muss. So ein gesetzeswidriger Zugriff erfolgt blitzschnell, also schieben wir Wache, sobald etwas auf dem Tisch oder dem Herd steht, und seitdem landen die ganzen leckeren Sachen wieder dort, wo sie hingehören: In unseren Mägen.
Bis gestern war das jedenfalls so. Nun jedoch hat das Böse eine neue Dimension, an Dreistigkeit tatsächlich kaum zu überbieten.
Lilly sitzt in der Küche auf der Fensterbank und schaut, scheinbar gedankenverloren und in sich versonnen, den Vögeln im Garten zu, sie erweckt den Eindruck, das sonstige Geschehen in der Küche sei für sie komplett bedeutungslos. Meine Frau deckt derweil den Abendbrottisch und wiegt sich deshalb in trügerischer Sicherheit. Lauter leckere Sachen, und auch meine 4 Scheiben Corned Beef finden ihren Platz. Dann macht sie Salat, neben der Spüle. Alles ist sicher, alles ist safe, sie ist schließlich anwesend, es kann nichts passieren. Bis ein leises Geräusch sie aufhorchen lässt, welches sie jetzt so gar nicht zuordnen kann… das kann doch wohl nicht…
Sie dreht sich um, und sieht gerade noch, wie der Tiger mitten auf dem Tisch steht und seine Zähne in meinen Lieblings-Brotbelag schlägt, und zwar in alle, vorher appetitanregend arrangierten 4 Scheiben gleichzeitig, die daraufhin in viele hässliche, kleine Stückchen auseinanderfallen. Ups. Lara und ich hören meine Frau noch im Obergeschoß fauchen, das Geräusch ist unverwechselbar, und obgleich wir beide zunächst erleichtert sind, dass keiner von uns gemeint sein kann, erzeugt es doch eine Gänsehaut auf den Oberarmen. Wir kommen gerade rechtzeitig unten an, um Lilly in der ihr eigenen Dickfelligkeit in aller Seelenruhe, und sich noch die Lippen leckend, aus der Küche marschieren zu sehen.
Hätte sie nicht die Weißwurst, den Schinken oder die Zwiebelmettwurst nehmen können? Von allem wäre noch genug Ersatz da gewesen, nur vom Corned Beef nicht. Oh Mann.
Was soll’s, wir kennen das ja schon. Dann muss ich mich halt mit einem anderen Brotbelag zufrieden geben. Wir beseitigen den Flurschaden auf dem Tisch, während Lara Lilly einen Vortrag über Eigentumsverhältnisse hält, was diese mit einem merkwürdig leeren Blick kommentiert. Was laberst du mich jetzt hier voll? Was geht mich das an? Die 5 Sekunden meiner Schuldfähigkeit sind längst `rum, vorbei, verjährt, und jetzt zieh‘ ab.
Für uns stellt sich derweil die Frage, werfen wir die zwischenzeitlich vom Tisch gesammelten Trümmer des Corned Beefs nun weg? Ach was, im Grunde unseres Herzens sind wir ja nette Menschen, das wäre nun auch schade, und wenn es Lilly doch so gut schmeckt, heben wir’s halt auf und geben es den beiden am nächsten Tag als besonderen Leckerbissen. Einen Gruß aus der Küche, sozusagen.
Sonntag abends. Da mögen wir’s ab und an etwas leckerer als an anderen Tagen, mit Vorspeise, Nachtisch und einer Flasche gutem Wein. Als die Lammkeule im Ofen verschwunden ist, bereite ich den Katzen schon mal das Abendessen zu, damit wir später Ruhe haben. Beide sind, wie gewohnt, völlig aufgeregt und kleben fast an meinem Bein, den Hungertod greifbar vor Augen. Ich mische das Dosenfutter, es gibt Rind, mit etwas Wasser und garniere das Ganze kunstvoll mit den Corned Beef-Fragmenten.
Wie üblich, bekommt Lilly zuerst ihren Napf, und, während sie sich normalerweise verzückt darüber hermacht, wird Mimi’s Napf ebenfalls an deren Fressstelle platziert.
Das mit dem Darüber-Hermachen allerdings scheint heute nicht ganz zu funktionieren. Mimi verschlingt ihr Nachtmahl mit Begeisterung, klasse, mal was Neues. Lilly dagegen, eigentlich immer noch einen Hauch hungriger als die Kollegin, schnuppert nur mit angewidertem Blick an ihrem Napf und schlappt dann zur Gefährtin, mal gucken, ob die nicht was Besseres hat. Nein, die hat das Gleiche. Die völlig verständnislosen Blicke, die sie mir zuwirft, sind bühnenreif. Wie kannst du mir … das … hinstellen. Was soll ich denn jetzt damit tun? Fressen kann man es schließlich nicht.
Jetzt ist aber gut, beschließe ich. Die spinnt wohl. Es gibt nichts anderes, friß‘ es oder lass‘ es bleiben. Ich gehe wieder nach oben, angesäuert, ich muss noch ein paar Dokumente zusammensammeln. Das haben wir gerne, erst mir das Abendbrot verhageln und jetzt nichts fressen wollen. Undankbares Vieh.
Obwohl …ihr wird doch nichts fehlen? Mangelnder Appetit, könnte natürlich auch ein Zeichen für etwas sein… Magenverstimmung, vielleicht, oder Zahnweh… Nix da, wir bleiben erst mal hart. Als ich wieder in die Küche komme, sehe ich, wie Lilly gerade genussvoll die Reste aus einem zweiten Napf, der jetzt neben ihrem ersten steht, leckt – es gab Fisch. Meine Frau hat ihr eine neue Dose aufgemacht. Sie hat sie so traurig angeguckt.
Ich fühle mich manipuliert. Die wissen doch ganz genau, wie sie uns kriegen können.
Gruß, der Sepp