Tag 72 – Günter, der Marderschreck
Moin!
Und noch’n Kater.
Günter war wieder da. Gestern abend saß er, laut maunzend, vor der Terrassentür. Er kann es einfach nicht lassen, er findet Lilly so interessant, dass er immer wieder nachschauen kommt, ob er nicht doch irgendwie mit ihr anbändeln kann. Ihr Groll auf den Kater ist indes ungebrochen, somit hat er nicht den Hauch einer Chance.
Bei Mimi sieht das nach wie vor anders aus, aber die will er ja nicht. Wenn sie vor Lilly freundlich angelaufen kommt, geht er zur Seite und ruft auf der anderen Fensterseite nach dem Tiger. Der kommt dann auch meist unmittelbar angeflogen, mit gesträubtem Rückenfell, auf Anschlag ausgefahrenen Krallen und gefletschten Zähnen. Scheiß-Spiel, Romeo in Nöten.
Demnächst bringt er wohl Rosen mit... Wenn dann der erste Ärger verflogen ist, wird sich gegenseitig ein bisschen taxiert:
Dabei ist er so ein lieber Kerl. Er hat sogar die Katzenallergie meiner Frau eliminiert und somit dem Einzug unserer Mädels sozusagen Vorschub geleistet, aber das ist ja eine ganz andere Geschichte.
Gerne würden wir ihn wieder einmal hereinlassen, aber das gäbe hier Mord und Totschlag. Also wartet er auf mich, wann immer ich zwecks sportlicher Betätigung mein Fahrrad aus dem Schuppen hole, und lässt sich dort dann ausgiebig kraulen.
Man muss dabei allerdings ein wenig aufpassen. Unser Schuppen steht am Haus und hat ein offenes Holzgebälk in einem kleinen Dachstuhl, und da wir dort etliche Dinge, neben den Fahrrädern, gelagert haben, kann ein halbwegs sportlicher Kater dieses Gebälk über die aufgestapelten Kisten und Kästen durchaus erreichen und somit aus unserem Blickfeld und Zugriff entschwinden.
Im Sommer hat ihm das knapp vier Stunden Einzelhaft eingebracht, als ich vormittags für eine längere Tour aufgebrochen bin, er muss sich irgendwie, nach dem Kraulen, unbemerkt, an mir vorbeigemogelt haben. Folglich passiert es mittlerweile häufiger, dass ich, bevor ich in die Pedale treten kann, zunächst den Kater aus dem Dachstuhl sammeln muss, weil er schneller dort oben ist, als ich in der Lage, mein Bike anzulehnen und ihm hinterher zu hechten.
Allerdings ist es einigermaßen trickreich, einen 7-Kilo-Kater, der ganz andere Vorstellungen vom weiteren Vorgehen hat, auf einer wackeligen Kiste stehend, von einem Holzbalken zu ziehen. Zu diesem Zweck haben wir nun einige Stangen-Leckerlies im Schuppen versteckt, womit er sich dann einigermaßen gut locken lässt. Man muss dabei jedoch mit größter Vorsicht, ganz sanft und ausgesprochen freundlich agieren, um ihn nicht weiter zu verärgern, dann lässt er auch fast alles mit sich machen.
Das Problem generell ist, dass selbst der langmütige Günter, wenn man denn doch etwas mit ihm anstellt, was er partout nicht möchte, irgendwann sauer wird, er ist dann ein wenig nachtragend.
Im letzten Herbst hatten wir, bei Frosteinbruch, regelmässigen Besuch von einem Marder in unserem Dachboden. Das Vieh hat nächtens einen derartigen Krach veranstaltet, dass Schlaf unmöglich wurde. Irgendwo hatten wir gelesen, dass ein Hausmittel gegen Marder aus Katzenhaaren, strategisch auf seinen Wegen verteilt, besteht. Kein Problem, wir haben ja Günter.
Das Einsammeln der Haare gestaltete sich dann aber doch weitaus mühseliger, als wir das vermutet hatten, sie liegen zwar überall herum, aber einzeln, das ist doof und vor allem langwierig. Und dem Kater mit der Schere zu Leibe zu rücken, haben wir uns dann doch nicht getraut. Bislang hatten wir mit seinen Besitzern schließlich ein freundliches Verhältnis, daher macht es wenig Sinn, dieses dadurch nachhaltig zu stören, indem wir Günter eine neue Frisur verpassen. Aber es geht doch auch anders. Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt…
…dann geht der Kater eben auf den Dachboden. Günter ist neugierig wie verrückt, das wird ihm gefallen, dort oben ist es unvorstellbar vollgeräumt, unser gesamtes bisheriges Leben lagert dort in Kisten, Koffern, Regalen, Taschen, großen und kleinen Haufen, Chaos, ein Paradies für Katzen. Es gibt einen Gang in der Mitte des Raumes, der Rest ist vollgestellt und für uns Zweibeiner teilweise ohne Weiteres gar nicht mehr zu erreichen.
Anders für Marder und natürlich auch für Günter. Er kann dort über alles klettern, alles ablaufen, seine Haare und seinen Geruch überall hinterlassen und den Marder, der ja tagsüber anderweitig unterwegs ist und nur nach Einbruch der Dunkelheit wieder auftaucht, dadurch abschrecken. In einer halben Stunde werden wir ihn wieder herunterholen.
Nach zwei Stunden ist Günter immer noch nicht wieder aufgetaucht, obwohl die Bodentreppe die ganze Zeit ausgeklappt geblieben ist. Hmm. Anscheinend ist es dort noch viel interessanter für ihn, als wir vermutet hatten. Als ich nach oben gehe, höre ich ihn umherlaufen, hinter den ganzen aufgestapelten Sachen. Irgendwo hinter den Koffern, gleich neben der Tischkreissäge, dort, hinter den Skiern wo die Bücherkiste auf dem alten Rechner steht, den ich eigentlich hatte reparieren wollen. Vor fünf, sechs Jahren war das, jetzt ist das Betriebssystem dafür vermutlich gar nicht mehr erhältlich und alle Mega-Bytes sind aneinander festgerostet…
Absolut keine Chance, das Tier zu mir zu bewegen. Ich greife auf das bewährte Mittel zurück, hole eine Leckerlie-Stange aus der Küche, setze mich oben an die Bodentreppe und raschle damit. An den Geräuschen hört man, dass Günter hin- und hergerissen ist. So spannend hier, aber ein Hüngerchen hätte man schließlich auch, soll ich, soll ich nicht… Die niederen Gelüste überwiegen, und er kommt zögerlich angetrabt. Da wir demnächst weg müssen und weder den Dachboden offen lassen noch den Kater alleine dort herumspringen lassen wollen, greife ich ihn mir, um mit ihm die Treppe herunterzusteigen, die Leckerlie-Stange in der Hand.
Nun ist, baulich bedingt, die Öffnung der Dachbodenluke begrenzt, und auf dem Weg nach unten bekommt Günter plötzlich 20 Pfoten, allesamt krallenbewehrt, die keine Gelegenheit auslassen, sich irgendwo festzuhalten. Ich! Will! Nicht! Runter!
Endlich im Flur angekommen, habe ich Mühe, ihn mit einer Hand am Wieder-Hoch-Rennen zu hindern, während ich versuche, mit der anderen Hand zeitgleich die Treppe hochzuklappen. Das Ganze ist eine Mischung aus Akrobatik und Slapstick. Ich gebe ihm sein Leckerlie, das hat er sich verdient.
Günter schaut mich an, und setzt Prioritäten. Zunächst verzehrt er in aller Ruhe die Stange, dann greift er sich meine Hand, mit der ich ihm, im Glauben, sein Missmut sei womöglich schon verflogen, den Kopf zu streicheln versuche, und schlägt genüsslich und nicht überhastet, dafür treffsicher, alle Krallen, die er aufbieten kann, gleichzeitig hinein. Auah. Dann trottet er, nun, da er seine Rache gehabt hat, doch endlich versöhnt, nach unten, setzt sich vor die Haustür und maunzt. Kann ich `raus, bitte?
Ich öffne die Tür, Pflaster kann ich auch gleich noch holen, und Günter trabt in’s Freie.
Abends erwartet uns eine Überraschung. Der Marder ist wieder da und es lässt sich nicht feststellen, ob er die Katzenhaare und den Günter-Geruch überhaupt wahrnimmt. Er tobt die Nacht durch ungehemmt, ausgelassen und fröhlich über den Dachboden.
In den folgenden Tagen installiere ich eine Lichtorgel mit einer Zeitschaltuhr mit Zufallsschaltung, eine elektronische Marderabwehr, schmeiße, mit einer Taucherbrille zweckorientiert bekleidet und extrem flach atmend, Ammoniak-getränkte Stoffbällchen in alle Ecken und dichte offensichtliche Einstiegsmöglichkeiten am Dach ab. Jetzt ist Ruhe.
Günter sitzt seitdem nun öfter mal im Obergeschoß im Flur unter der Bodentreppe und maunzt. Ich glaube, er will mir etwas sagen.
Gruß, der Sepp