Weiter oben hatte ich auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Ostergottesdienste (bzw. religiöse Versammlungen anderer Konfessionen) hingewiesen.
Hier der Artikel im Spiegel dazu:
https://www.spiegel.de/panorama/ges...feiern-a-7d612fa5-7db0-49c0-ba71-2c1d9bc5ee72
Das BVerfG weist ferner darauf hin, dass die Rechtmäßigkeit solcher massiver Eingriffe in die Religionsfreiheit immer wieder konkret und situationsbezogen erneut überprüft werden müsse. Insofern kann es in einigen Wochen ein anderslautendes Urteil des BVerfG zur Religionsfreiheit geben, sofern sich die Falllage bei Corona in der Zwischenzeit zum Besseren gewendet hat und es mildere Mittel gibt (z. B. Auflagen für den Gottesdienst hinsichtlich des Abstandes zwischen den Teilnehmern, Anzahl der Teilnehmer, Dauer des Gottesdienstes etc.).
Diese Herangehensweise gilt natürlich für alle Beschränkungen der Grundrechte in Zusammenhang mit der Coronakrise, und ich sehe dies als eine Selbstverständlichkeit und habe keine Zweifel, dass die aktuellen Landesregierungen sowie die Bundesregierung sich an diese Grundsätze halten werden.
Zu § 30 des Infektionsschutzgesetzes:
Dem Gesetzestext kann ich nicht entnehmen, dass Coronainfizierte in die Psychiatrie gesperrt werden sollen.
Könnte es sich dabei um ein Missverständnis handeln?
Im Gesetzestext ist von "geschlossenen Abteilungen" bzw. von "geschlossenen Krankenhäusern" die Rede. Ich verstehe diesen Begriff so, dass es um eine räumliche Abschottung geht und um die Möglichkeit, den Patienten am Verlassen der Station bzw. des Krankenhauses zu hindern. Insofern ein Eingriff in die Freizügigkeit (= Bewegungsfreiheit).
Neben offenen und geschlossenen psychiatrischen Stationen haben viele Krankenhäuser auch andere geschlossene Stationen, bin ich sicher. Z. B. in der Geriatrie. Und eben auch bei speziellen Isolationsstationen für infektiöse Patienten.
§ 30 Infektionsschutzgesetz verweist auf das Siebente Buch des Gesetzes für das Verfahren in Familiensachen; dieses befasst sich mit Freiheitsentziehung, die im wesentlichen nicht auf dem Strafrecht (Strafvollzug) beruht. Z. B. Abschiebehaft ist so ein Fall.
https://www.gesetze-im-internet.de/famfg/BJNR258700008.html#BJNR258700008BJNG006000000
Genau wie bei Strafsachen - z. B. Untersuchungshaft - sieht das Verfahren der Freiheitsentziehung vor, dass es einer richterlichen Anordnung bedarf, wenn die Freiheit entzogen werden soll. Rechtsmittel (Beschwerde) sind möglich.
D. h., es gibt ein geordnetes gerichtliches Verfahren mit Eröffnung des Rechtsweges für den Betroffenen, so dass eine behördliche Anordnung der Freiheitsentziehung jederzeit gerichtlich überprüft werden kann und muss. Zudem wird für den Betroffenen ein Verfahrenspfleger bestellt. D. h. der Betroffene hat jemanden, der ihm auch fachlich zur Seite steht.
Einstweilige Maßnahmen sind möglich, jedoch ist die Behörde verpflichtet, sogleich eine richterliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung einzuholen.
Diese Grundsätze entsprechen verfassungsrechtlichen Vorgaben, auch bekannt unter dem Begriff Habeas Corpus (leitet sich aus dem entsprechenden Grundrecht aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis ab).
§ 30 InfSchG erwähnt v. a. die Lungenpest als Anwendungsfall der Freiheitsentziehung, aber auch hämorrhagische Erkrankungen (ich vermute da etwas wie Ebola oder Cholera, bin aber keine Fachfrau). Es muss sich also in jedem Fall um einen hochansteckenden Erreger handeln. Inwieweit das Coronavirus hier als so hochansteckend eingestuft werden kann, müssen - in Ermangelung entsprechender Rechtsprechung - zunächst die fachlichen Experten (Virologen etc.) entscheiden. Vor Gericht würden sie als Sachverständige gehört werden; das ist insofern nicht anders, als würde ein Gerichtsverfahren sich mit einem Kfz-Unfall befassen, wo ein Sachverständiger zur Länge des Bremsweges usw. gehört wird.
😉
Der Begriff "Quarantäneverweigerer" (woher auch immer er nun stammen mag) erweckt in mir das Bild, dass die Polizei Leute von der Straße wegfängt und einsperrt, die im Park chillen und das Abstandsverbot nicht eingehalten haben. Aber so gruselig, wie sich das anhört, ist es nicht. Die behördliche Freiheitsentziehung ist natürlich das letzte Mittel, wenn ein Patient mit einer hochinfektiösen Krankheit sich wider jede Vernunft stellt und unbedingt auf die Straße will. Aber der Patient hat gesetzlich verbriefte Rechte, v. a. die gerichtliche Feststellung, ob das Mittel der Freiheitsentziehung in seinem Fall wirklich unabdingbar ist.
Anders als beispielsweise im Asylrecht (Abschiebeverfahren, Abschiebehaft), wird die Maßnahme der Freiheitsentziehung wegen Infektionsschutz nur ganz ausnahmsweise in Betracht kommen, denn für mich stellt sich da zuerst die Frage, ob Corona wirklich vergleichbar ist mit den im Gesetz genannten hochgradig ansteckenden Krankheiten.