Sarkozy: Atom-Ausstieg kommt nicht in Frage
Paris (dpa) - Präsident Nicolas Sarkozy hat Forderungen nach einem Umdenken in der französischen Atompolitik zurückgewiesen. «Ein Ausstieg kommt nicht in Frage», sagte er nach einem Bericht der Zeitung «Le Figaro» (Dienstag) nach einem Treffen mit der Parteispitze der Regierungspartei UMP.
Die französischen Atomkraftwerke seien zehnmal sicherer als andere, da sie eine doppelte Schutzhülle hätten. Als Vorsitzender der G20-Gruppe wolle er eine Konferenz anregen, die sich mit Energie und Nuklearsicherheit befasse, sagte Sarkozy.
Frankreichs Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet betonte ihrerseits die hohe Sicherheit der 58 französischen Reaktoren. «Man kann nicht die Stromversorgung eines ganzen Landes mit erneuerbaren Energien sicherstellen», sagte sie.
Die Chefin des französischen Atomkonzerns Areva, Anne Lauvergeon, warnte vor Panikmache. Die Grünen, die eine Volksabstimmung über die Zukunft der Atomtechnologie forderten, würden auf einer Welle der Emotion surfen, meinte sie. «Ich verstehe diese Emotion, aber sie darf nicht instrumentalisiert werden», sagte sie der Zeitung «Le Parisien» (Dienstag). Aber es gebe auch für Frankreich Lektionen zu lernen, insbesondere beim Blick auf die Gefahr durch Überschwemmungen.
© sueddeutsche.de - erschienen am 15.03.2011 um 13:02 Uhr
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Doch diese Art der beschwichtigenden Rhetorik reicht nach den "japanischen Ereignissen" nun möglicherweise selbst in Frankreich nicht mehr aus, um eine ernsthafte Debatte über das Risiko Kernkraft zu verhindern, auch wenn die öffentliche Erregung bei Weitem nicht an die deutsche Gefühlslage heranreicht. Am Sonntag hatten sich in Paris gerade einmal 300 Atomgegner zusammengefunden, um für einen sofortigen Ausstieg zu demonstrieren. Sie kritisierten insbesondere den Industrieminister Éric Besson, der am Sonntagmorgen noch beschwichtigend erklärt hatte, die japanischen Behörden hätten die große Gefahr einer nuklearen Katastrophe "für den Augenblick gebannt". Am Montagmorgen war Besson sich dann nicht mehr ganz so sicher und erklärte, man erlebe einen größeren atomaren Zwischenfall, das sei zwar "noch keine Katastrophe", aber eine solche könne man auch "nicht mehr ausschließen".
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Die Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet beteuerte unterdessen in Interviews, die französischen Kernkraftwerke seien so konstruiert, dass sie Naturkatastrophen "standhalten können". Vergleichbares hatten japanische Behörden bis zum vergangenen Freitag behauptet. Die Ministerin erläuterte am Beispiel des Reaktors im elsässischen Fessenheim - der knapp 30 Kilometer vor den Toren von Freiburg im Breisgau liegt -, dieser sei für Erschütterungen ausgelegt, die fünfmal stärker sein könnten als das bislang schwerste Erdbeben in der Region, das sich 1356 in Basel ereignet hatte. Auch die in Küstennähe gelegenen Kernkraftwerke seien sicher, behauptete Frau Kosciusko-Morizet. In der Anlage von Blayais im Departement Gironde etwa habe man die Schutzdämme erhöht, nachdem 1999 ein Teil der Kühlanlagen überflutet worden sei. Den nun vonseiten der französischen Grünen vorgebrachten Forderungen nach einem Ausstieg aus der Atomenergie entgegnete die Umweltministerin: "Man kann die Energieversorgung eines ganzen Landes nicht nur mit erneuerbaren Energien gewährleisten." Außerdem wäre es "unmöglich", die Energieversorgung von einem Tag auf den anderen "umzuwerfen".
Die mögliche Präsidentschaftskandidatin des Umweltbündnisses Europe Écologie, Eva Joly, hat unterdessen vorsichtig angeregt, zumindest einmal über langfristige Ausstiegsszenarien nachzudenken. Die Atomkraft sei "kein nützliches Risiko", sagte sie. Was die Gefahren betreffe, gelte aber in Frankreich offenbar eine "Omertà" - ein Schweigegebot wie bei der Mafia. Vorsichtig erhob Frau Joly die Forderung nach einem Ausstieg "in den nächsten 20 Jahren".
Daniel Cohn-Bendit, der für das Bündnis Europe Écologie - Les Verts im Europäischen Parlament sitzt, regte derweil eine Volksabstimmung über die weitere Nutzung der Atomenergie an. Allerdings scheint auch er zu glauben, dass eine Mehrheit für einen Ausstieg in Frankreich bestenfalls nach einer ausführlichen Debatte zustande zu bringen sei: "Was nötig ist, ist eine wirkliche Debatte in der französischen Gesellschaft, und dann, nach ein bis zwei Jahren, ein Referendum, bei dem die Gesamtheit der französischen Bürger in Kenntnis der Sachlage entscheiden kann", sagte der deutsch-französische Grüne. Die ehemalige französische Umweltministerin Corinne Lepage pflichtete Cohn-Bendit bei: Statt, wie von Nicolas Sarkozy gewünscht, über den Islam zu debattieren, sei es dringender, eine Abstimmung über die Atomkraft herbeizuführen.
In Frankreich laufen in 19 Atomanlagen derzeit 58 Reaktoren. Sie decken ungefähr 80 Prozent der französischen Energieversorgung ab. Störfälle gibt es dabei immer wieder. Die beiden gravierendsten ereigneten sich 1969 und 1980 im Atomkraftwerk Saint-Laurent im Departement Loir-et-Cher. Beide Male kam es zu einer partiellen Kernschmelze im Reaktor. Dennoch hat es eine Debatte über Atomkraft in Frankreich nie gegeben. Bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg schuf der General de Gaulle mit der Gründung der nationalen Atomenergiebehörde die Grundlage für Frankreichs Aufstieg zur zivilen und militärischen Atommacht. Nach seiner Rückkehr an die Macht 1958 trieb der General diese Strategie entschlossen voran. "Frankreich ist nur Frankreich, wenn es strahlt", lautete die keineswegs scherzhaft formulierte Devise.