Halbtyr wird drin bleiben.
Das haben mein Mann und ich vor zwei Tage beschlossen. Ja, er wird Wochen oder Monate eingesperrt bleiben, aber das ist notwendig, damit er sein wildes Leben draußen vergisst. Er braucht Zeit, aber die hat er. Er ist mit seinen anderthalb Jahren eigentlich schon zu alt, als dass er als zähmbar gilt. Dies liegt aber daran, dass Tierheime wenn überhaupt nur wilde Kitten versuchen an ein Zuhause zu gewöhnen. Wer hat schon die Zeit und die Räumlichkeiten dazu? Natürlich mit der großen Ausnahme von Taskali und anderer, vor deren Arbeit ich hier meine Hut ziehe! Halbtyr hat einen harten Winter draußen als noch fast Kitten hinter sich, und einen nassen Sommer als Halbstarker. Wobei er seit Juli hier jeden Abend zwei Dosen Katzenfutter herunter schlingt (so gut kam er dann wohl doch nicht klar). Eines Abends im Juli kam er auf die Terrasse und leise gerufen. Ich dachte, Nero wäre etwas passiert, weil er so verzweifelt quäkte. Aber es war Halbtyr, da habe ich angefangen ihn regelmäßig zu füttern. Das war das einzige Mal wo er Laute von sich gegeben hat. Aber er ist zu mir, dem Menschen gekommen, bis auf die Terrasse. Kein Fuchs oder Hase hat das hier je getan. Ich glaube, Halbtyr hat sich ein Herz gefasst und ist zu den Menschen geschlichen, um nach Futter zu betteln. Tja, das hat er jetzt davon, jetzt soll er auch ein richtiges Zuhause bekommen.
Ich habe viel gelesen, nach vergleichbaren Fällen gesucht und zwei Geschichten, habe ich mir als Leitlinie ausgeguckt, die von Finchen nd Klaus (Namens zum Schutz der Beteiligten geändert) Finchen eine zwei Jahre alte Katze kannte von Menschen nur Tritte. Sie wurde zwangsweise ins Tierheim gebracht. Keine guten Voraussetzungen, trotzdem hat sich eine Familie gefunden, die sie aufnahm. Ganz unbedarft haben sie die Katze einfach machen lassen. Es hat Wochen gedauert, bis sie Finchen sahen und Monate bis sie näher kam. Aber sie hat es geschafft und ist jetzt die größte Schmusebacke auf dem Sofa. Diese Geschichte macht mir Mut. Die Geschichte von Klaus ist weniger schön, er wurde als Streuner angefüttert und letztlich so zahm dass er im Garten schlief, manchmal lief er über die Terrasse ins Wohnzimmer. Er schlief draußen in einer Hütte. Aber anfassen ließ er sich nie. Im letzten Winter suchte seine Dosi verzweifelt Hilfe, denn Klaus war offensichtlich schwer erkältet, aber sie konnte ihm nicht helfen. Ängstlich rannte er immer weg, jetzt hatte sie ihn bei den Minustemperaturen schon drei Tage nicht gesehen … und sah ihn wohl auch nie wieder. Diese Geschichte macht mir Angst. Als ich vor Jahren hierherzog, gab es hier eine Streuner. Ich musste ihn ein paar Mal aus dem Garten verscheuchen, weil er aggressiv war, Bonnie und Nero waren noch klein. Er war stockwild. Eine alte Dame fütterte ihn. Also dachte ich es wäre ok. Irgendwann hatte er ganz rote Augen und ein paar Wochen später sah man ihn nicht mehr. Mein Nachbar meinte, der wäre zuletzt nur noch die Straße entlang getorkelt (ich selbst war im Urlaub). Erst viel später habe ich erfahren, dass er einfach zurückgelassen wurde, als seine Familie wegzog. Er wurde hier nur sechs Jahre alt.
Auch die positiven Berichte hier im Thread bestärken mich in meinem Vorhaben. Ja, es wird hart für Halbtyr. Aber er wird das aushalten. Er wird einen Winter verpassen und dafür ein hoffentlich langes Leben mit regelmäßig Futter und ärztlicher Versorgung erhalten. Er soll wenn es draußen ungemütlich ist, in der Lange sein im Haus zu schlafen. Er muss nicht unsere Nähe suchen, aber erdulden. Er frisst und geht aufs Katzenklo, dass wird mein Mantra sein. Als Futter mag er im Moment sehr gerne Trofu (ja, ich kenne die Risiken
😳). Ich hatte ihm ein kleines Schälchen hingestellt und mir fiel auf, dass er das immer schnellwegputzt. Also dachte ich, einen Versuchs ist es wert, vlt. erinnert ihn das an seine Kindheit
🙁 und habe statt Applaws, supermarkt-Tofu besorgt. (Einwurf bonnie, gesundes Trofu, das gibt’s gar nicht. Ich esse zum Nachtisch doch keine Haferkekse, gib mir die mit Schokolade!)
Tja was soll ich sagen? War es das Feliway oder das Felix, wahrscheinlich eine Mischung aus beiden. Nachdem er das Trauma des Staubsaugers über ihm überwunden hatte, hat er mich gestern überrascht. Ich habe den Beachbereich rund um sein Kaklo gesäubert, schön mit großer Tüte und Handfeger. Dabei quake ich so vor mich hin und denke er sitzt unterm Sofa. Dort habe ich ihm eine gemütliche Rückzugshöhle aus Sitzpolstern gebaut, Feliway-Stecker in der Nähe, der Wilde soll es hier gut haben. Als ich mich umdrehe, sehe ich, er sitzt ganz oben auf dem Regal!
😱
Direkt über mir, während ich auf dem Boden herumrutsche und Handfeger und Tüte schwinge. Ich erstmal das Tütenmonster entsorgt und bin dann nach ca. fünf Minuten wieder runter. Er hatte Zeit unters Sofa zu flüchten, aber er saß weiter auf dem Regal. Dort blieb er fast den ganzen Tag. Ich habe mich an die Tür gesetzt, mich so kätzisch verhalten wie möglich, also blinzeln, dann nicht mehr angucken, räkeln, gähnen, langsam und vorsichtig auf dem Boden ausstrecken, genauso wie es Fiffi immer macht. Dann habe ich meditiert. Später als ich nochmal runter bin, saß er immer noch oben. Ich habe mich ins Bett gelegt und geschlafen. Halbtyr schaute mich erst sehr abwehrend an, aber zuletzt wurde sein Blick weicher, interessierter. Er braucht Zeit, aber er war jetzt nach anderthalb Wochen soweit, dass er sichtbar sitzen bleibt, wenn ich im Raum bin.
🙂
Es wird auch Rückschritte geben, das erwarte ich. Aber er wird solange da unten bleiben, bis er ein Grundvertrauen in mich, das Futter und die Sicherheit des Raums bekommen hat. Er leidet ja nicht, ist halt nur ein bisschen doof, er gewöhnt sich schon daran. Ich werde ein Gitter vors Fenster machen, aber nur zum Lüften. Er soll draußen erstmal vergessen. Später werden wir eine Gittertür einsetzen und nochmal später darf er das Haus erkunden und ganz viel später darf er wie die anderen über die Klappe wieder raus. Aber im Moment nicht, das Risiko ist mir hoch, dass er sofort in den Wildlingsmodus zurückfällt. Ja es stimmt, eine Katze kann als wildes Tier leben, aber ich finde sie sollte es nicht. Insbesondere in einem Vogelschutzgebiet, denn für offensichtlich wildernde Tiere, gibt es hier extra Ausnahmen im Jagdgesetz. Das gilt nicht für Katzen, die vlt. zweimal im Jahr den fetten Bratarsch hoch genug bekommen um einen unvorsichtigen Vogel vom Baum zu pflücken (ja, Bonnie, ich meine dich).
Katzen sind Haus- und Hoftiere. Ein Vertrauen in den Menschen hilft Halbtyr langfristig mehr als ein Futterplatz und eine Schlafhütte und wenn er dafür erstmal eingesperrt werden muss, ist das den Preis wert. Das habe ich beschlossen. Bislang gab es nur mein Bauchgefühl, dass das hier klappt. Aber ich finde, gestern hat Halbtyr mich durch sein Verhalten bestärkt. Übrigens haben auch die Meckerer ihren Teil dazu beigetragen, dass er drin bleibt. Ich habe wirklich alle Möglichkeiten durchgespielt: Schlafplatz in der Garage (nah beim Hund und wenn dann nutzt den Nero), hinten im Garten (wie soll er zahm werden, wenn er bei der Igelfamilie schläft) usw. Die angestrebte Lösung ist für ihn die Beste. Die Nächte sind mittlerweile eisig. Er hat ja kein Winterfell und das braucht er diesen Winter wohl auch nicht. Er darf natürlich eher raus, wenn er schneller Vertrauen fasst. Diese Entscheidung überlassen wir ihm.
Es gibt auch ein Foto, sehr unscharf, steht auf dem Kopf, da vorsichtig vom Bett ausgeknipst. Der schwarze Fleck oben auf dem Regal ist Halbtyr (mit Lupe suchen). Direkt darunter steht das Katzenklo, wo ich gefeudelt habe.
Jetzt überlasse ich diesen Thread wieder der Grundsatzdiskussion das stolze Leben der Wildinge vs. Katzen sind Sofatiger. Ich werde mich immer mal wieder melden, wenn es Fortschritte gibt. Das kann aber dauern, unser Zauberwort heißt Geduld. (aber Halbtyr freut sich natürlich, dass ihm so viele die Daumen drücken).
So Fiffi kommt rein, springt auf die Tastatur und schreibt defghn, leckt an meinem Thunfischbrötchen und hängt seinen Poppes über meine Kaffetasse. Ich liebe Katzen