Zwar wollte ich ursprünglich mich hierzu nicht äussern, denn wie man alleine an den Ausmassen des Threads sieht ist es ein relativ emotionales, kontrovers diskutiertes Thema - weil es eben sehr subjektiv ist (und damit meine ich nicht, ob man eine Katze impft oder mit ihr zum TA geht wenn sie sich das Fell rupft!).
Ich kenne beide Seiten, Wohnungs- und Freigangshaltung und ich glaube, man kann weder das eine, noch das andere verteufeln oder als die einzig wahre Lösung sehen. Tatsächlich bin ich der Meinung, dass Freigang für eine Katze, welche in ihrem Leben keine schlechten Erfahrungen machen musste (div. Streuner, die das "Draussen" mit Überlebenskampf, Stress und Angst verbinden) eine Bereicherung sein kann; vorausgesetzt, dieser Freigang befindet sich an sehr sicherer Lage.
Ich habe an einer solchen Lage gewohnt, in einem Naturschutzgebiet, die nächste und einzige Strasse war auf der anderen Seite der Überbauung (ca. 200m), 30er Zone mit sehr wenig Verkehr. Überall sonst waren Felder, Wälder, kleine Bäche - ein Paradies! Nie habe ich dort eine überfahrene Katze gesehen oder von einer gehört, obwohl es natürlich sehr viele Freigänger gab. Und ich hatte auch das Gefühl, dass meine Katzen dort am glücklichsten waren (was mich im Nachhinein traurig stimmt).
Nichts desto Trotz war es auch dort nicht sicher, die eine Wiese vor dem Haus wurde jährlich gemäht von einem grossen Drescher, natürlich gab es Jäger im Wald und die Gefahr, vergiftet oder eingesperrt zu werden oder von einem Hund angegriffen zu werden, die leider trotz Leinenzwang öfter von uneinsichtigen Besitzern einfach laufen gelassen wurden, war omnipräsent. Wirklich Angst hatte ich aber nie.
An einem solchen Ort würde ich wieder Freigang gewähren, aber wie oft gibt es denn noch solche Orte?
Denn leider habe ich nicht nur ungetrübte Erinnerungen an den ungesicherten Freigang. Unsere erste Katze, mit der ich aufwuchs, wurde draussen vergiftet und sie hat nur mit viel Glück überlebt. Ihr Drang, nach draussen zu gehen war danach gestillt und sie wurde immerhin 17.
Und mein Herzchen, meine Seelenkatze Nimuë, wurde vor einem halben Jahr überfahren, nachdem sie als Kitten in Ungarn bereits einen schrecklichen Unfall hatte. Sie wurde nur 7.
In meinem Umfeld gibt es viele Katzenbesitzer und traurigerweise viele schlimme Geschichten. Ich kenne kaum jemanden, der Freigänger hat und der nicht bereits welche an den Strassenverkehr verloren hat. Ein Kollege von mir, der damals zwei Kätzchen aufgenommen hat, ist seit kurzem katzenlos, obwohl er, ähnlich wie ich damals, in absolut "optimaler" Freigängerlage wohnt. Die erste wurde doch irgendwie überfahren, die zweite verschwand vor zwei Monaten spurlos - vor einigen Tagen fand er den halb aufgefressenen Kadaver auf einer Schafwiese 🙁
Ja, wahrscheinlich ist ungesicherter Freigang "artgerechter", bis zu einem gewissen Masse zumindest, sofern das Tier sich das wünscht und man in der Lage ist, diesen gewähren zu können. Wenn man diese Meinung aber militant vertritt, sollte man sich auch von Zoos und ähnlichen Einrichtungen fernhalten, denn was ist mit diesen Tieren? Würde ein Elefant nicht viel lieber lieber durch die Kalahari trampeln, als eingesperrt auf wenigen Quadrat(kilo)metern sein Dasein fristen zu müssen? Was ist mit all den Reitern, die sich erdreisten über ein Tier "herrschen" zu können, sich drauf zu setzen und zu bestimmen, wo lang es läuft und wie schnell, wie sehr der Hals gebogen sein muss und wie fest es die Hufe heben muss? (Plakativ ausgedrückt.)
Jedes Tier hat seinen Ursprung irgendwo in der Natur, aber durch die Domestizierung hat sich die Lebensweise verschoben. Und nicht nur das: Die Natur ist eben nicht mehr die Natur und keine Katze ist den Gefahren "da draussen" vollends gewachsen. Unser Zuhause, und damit meine ich eben nicht die Wohnung sondern unsere Welt, ist gefährlich geworden. Zu gefährlich vielleicht.
Momentan leben meine zwei in Wohnungshaltung, seit vorgestern mit einem Gehege. Noch sind wir in der Gewöhnungsphase, Auslauf nur unter Beobachtung, aber durch die Klappe sollen sie schon bald 24/7 nach draussen können. Zwar habe ich dazu noch keine Erfahrungswerte, aber an meiner jetzigen Wohnlage und nach dem schrecklichen Erlebnis mit Nimuë glaube ich, dass das ein gangbarer Weg ist, ein guter Kompromiss. Auch wenn ich mich gelegentlich frage, ob es egoistisch ist, den Katzen den ungesicherten Freigang vorzuenthalten, nur weil ich Angst habe? Die Katze hat ja nicht Angst, aber eben, sie ist in ihrer Unbedarftheit wie ein Kind, welches die Gefahren nicht einschätzen kann. Und ein Kind würde ich ja auch nicht direkt neben einer (stark) befahrenen Strasse spielen oder diese gar unbeaufsichtigt überqueren lassen. Somit fühle ich mich als Halter in der Pflicht, Verantwortung zu übernehmen, wo die Katze es eben nicht kann; weil man ihren natürlichen Lebensraum so zugebaut um umgestaltet hat, dass sie keine Chance mehr hat, Gefahren richtig einschätzen zu können.
Langer Rede, kurzer Sinn: Freigang finde ich toll, fanden meine Katzen toll. Ich würds aber nur dann gewähren, wenn ich zumindest die Gefahr von einem Auto überfahren zu werden, auf quasi Null abrunden kann. Und das ist eben an den wenigsten Orten möglich. Wohnungshaltung empfinde ich nicht als Tierquälerei, empfinde diese Bezeichnung als Frechheit - solange Mensch sich bemüht, den Vierbeinern eine möglichst abwechslungsreiche und interessante Wohngegend zu schaffen.
Das ist länger geworden als geplant, sorry - im Büro hat man so viel Zeit 😀